Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 23. Mai 2005, Heft 11

Draußen vor der Tür

von Nikos Skantinos, Nikosia

Auch mit der Inszenierung von Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert bleibt das zyprische Staatstheater seiner Verpflichtung treu, sich, wann immer möglich, in die aktuellen politischen, sozialen und geistigen Auseinandersetzungen der Gesellschaft einzumischen.
Entstanden ist diese Art der Theaterarbeit in den sechziger Jahren aus dem Selbstverständnis des jungen unabhängigen Staats heraus. Insbesondere nach dem Putsch der griechischen Obristen gegen die Regierung Makarios und der türkischen Invasion und Teilung des Inselstaats 1974 wurden die Aufführung von Stücken Brechts mit den Problemen und Hoffnungen der Menschen verbunden. Der kaukasische Kreidekreis, Mutter Courage, Der gute Mensch von Sezuan oder Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui berührten immer auch brennende Fragen der Zeit.
Es ist dem Berliner Regisseur Heinz-Uwe Haus zu danken, daß zwischen 1975 und 1990 mit diesen Inszenierungen und in zahlreichen Workshops systematisch Brechts ästhetisches Programm und ein körperlich-visuelles Theaterspiel vermittelt wurde, das sich an den sozialen Problemen und dem kulturellen Erbe seiner Zuschauer orientiert. Mit Haus’ Inszenierungen hat das zyprische Staatstheater vor drei Jahrzehnten seinen Ruf auch international etabliert. In Deutschland wird mancher sich sicherlich noch Haus’ Inszenierung von Shakespeares Maß für Maß 1977 zu den Shakespeare-Tagen in Weimar erinnern, dem ersten Auslandsgastspiel des jungen Staatstheaters. Heute sind Aufführungen des Staatstheaters im griechischen Epidavros mit Werken der griechischen Antike ebenso üblich wie die Teilnahme an Festivals in Rom, Edinburgh oder Canberra mit zeitgenössischem zyprischen Repertoire.
Daß die letzte Inszenierung von Haus erneut an den Kern theaterkünstlerischer Wirkung anknüpfen konnte, ist natürlich Borcherts mitmenschlicher Dichtung geschuldet, die seit der Uraufführung über alle Grenzen hinweg den Friedenswillen stärkt. Aber sie ist angesichts der expressionistischen Sprache und des historischen Ursprungs des Dramas in besonderem Maße durch die künstlerische Qualität der Regie erreicht worden, die auch der neuen Generation von Schauspielern eine Widerspruchsdialektik und Fabulierkunst abverlangt, die ihren Brechtschen Ursprung voll ausspielt.
Haus, der heute in den USA eine Professur an der Universität Delaware innehat, ist nicht nur seinen Prinzipien treugeblieben, sondern scheint sie mit Leichtigkeit und Hingabe zu vermitteln, der sich keiner entziehen kann. Selbst die Neuübersetzung ins Griechische von Dina Pampali wurde durch körpersprachliche Erfahrungen in den Proben korrigiert. Seit Menschengedenken war Zypern Drehkreuz europäischer Interessen und Entwicklungen, doch seit britischer Kolonialzeit, im Zweiten Weltkrieg, während des Unabhängigkeitskampfes, und heute im Ringen mit Straßburg und Brüssel um eine gerechte Lösung der »Zypern-Frage«, kennt es die Wut und die Trauer Beckmanns (herausragend gestaltet von Neoklis Neokleos) oder die verzweifelte Hoffnung des Anderen (Chrysathos Chrysantou), kämpft mit dem Opportunismus von Frau Kramer (Elena Papadopolou) oder dem Zynismus des Obristen (Dinos Lyras). Die poetisch-räumliche Umsetzung von Borcherts lyrischer Sprache in theatralische Metaphern in solchen Figuren wie der Elbe (Lenia Sorokou) oder dem vielgestaltigen Tod (Antonis Katsaris) knüpft an zyprische Sehweisen an, die durch Choreographien antiker Texte geschult sind. Doch es ist auch das Vermögen dieser Inszenierung, aus den Situationen und Vorgängen Abbildungen zu schaffen, die über die Zeiten und Kulturen hinausreichen. Sechzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs verlangt ein Blick auf die Welt und in unser Innerstes noch immer, die Veränderbarkeit der sozialen Verhältnisse nicht zu übersehen. Ein Friedensplädoyer ohne eine solche Verpflichtung wäre nichts als ein Lippenbekenntnis!