Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 25. April 2005, Heft 9

Hautschuppe und Telefonkabel

von Frank Hanisch

Innerhalb von 48 Stunden wurde jüngst der Mörder des Münchner Modemachers Mooshammer identifiziert. Aus den Spuren am Telefonkabel, das als Schlinge diente, wurde DNA isoliert. Deren Analyse wurde mit Untersuchungsbefunden von Straftätern aus der DNA-Datenbank beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden abgeglichen und zeigte in einem Fall eine Übereinstimmung. Die Kriminalisten konnten die Lösung des spektakulären Falls mit Hilfe dieser relativ neuen Methode zu Recht feiern.
Dieser rasche Erfolg kann jedoch auch verunsichern. Nähern wir uns einer Überwachungsgesellschaft? Schließlich lassen sich vermeintlich von der Festplatte gelöschte Daten bereits jetzt mit Hilfe bestimmter Techniken rekonstruierten. Der Weg eines Verbrechers kann über seine Kreditkarte verfolgt werden, sobald er Geld abhebt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Krankheits- und Medikamentendaten auf den Versicherungskarten gespeichert und davon abgefragt werden. Man kann heutzutage in Deutschland nicht mehr einfach in den Untergrund gehen. Das tödliche Spiel einer RAF wäre wie in den siebziger Jahren nicht mehr denkbar. Last not least: Der erste tschetschenische Präsident, Dudajew, wurde von einer russischen Rakete getötet, die seine Position über das Handy, in das er gerade sprach, lokalisierte.
Immer öfter werden bei solchen Gelegenheiten Orwells 1984 und Hobbes Leviathan als Metaphern für den zunehmende Eingriff des Staates in die Individualrechte zitiert und das Bild des »gläsernen Menschen« beschworen. Nachdem der »neue Mensch« der kommunistischen Maschinerie aus Staatssicherheit und Propaganda ausgesetzt war und sich daraus befreien konnte, greifen jetzt, in der Logik der Bedrohungsszenarien, die kapitalistischen Demokratien mit gentechnischem Equipment in die Essenz des Staatsbürgers ein. Wenn man darauf eingeht, muß man fragen, in welchem Rahmen technischer und rechtlicher Möglichkeiten sich die DNA-Analyse in Deutschland bewegt.
Die DNA-Analyse, auch als genetischer Fingerabdruck bezeichnet, wurde zunächst zur Bekämpfung von Kapitalverbrechen eingeführt. Seit April 1998 existiert beim BKA in Wiesbaden eine Datenbank, in der aktuell etwa 370000 DNA-Profile gespeichert sind. Die Datenhoheit liegt jedoch bei den einzelnen Ländern, die solche Profile zuliefern. Die Entscheidung, ob eine DNA-Analyse vorgenommen wird, obliegt dem zuständigen Untersuchungsgericht und nicht der ermittelnden Polizei (Zweckbestimmung und Richtervorbehalt). Rechtliche Grundlage dafür ist der Paragraph 81 der Strafprozeßordnung – das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz. Anonymisiert wird die DNA in Speziallabors untersucht, das Ergebnis ist ein Zahlen-Buchstaben-Code. Die Datensätze erwachsener Straftäter werden zehn Jahre gespeichert. Vorraussetzung dafür ist, daß das betreffende Verbrechen juristisch als »schwer« (Haftstrafe mindestens ein Jahr) eingestuft wird. Bislang erfüllen 41 verschiedene Straftatbestände – unter anderem Sexualdelikte, Brandstiftung, Wohnungseinbruch, Diebstahl, Erpressung, Bildung terroristischer Vereinigungen – dieses Kriterium. Bei Ordnungswidrigkeiten dürfen also keine DNA-Proben entnommen werden! Handelt es sich jedoch um die Teilnehmer von Massentests, werden die Daten sofort, falls keine Übereinstimmung mit bereits existierenden Daten gefunden wurde, gelöscht (Vernichtungsregelung). Unschuldige landen also nicht in der Datenbank des BKA. Die Stärke dieser Methode liegt darin, Wiederholungstäter zu identifizieren und zu überführen, aber auch Unschuldige können damit entlastet werden.
Ab Frühjahr 2005 sollen etwa 50000 Profile für die Interpol-Datenbank vom BKA zur Verfügung gestellt werden. Es ist in diesem Zusammenhang zu vermuten, daß diese Datenbank neben einer effizienteren Verbrechensbekämpfung als Werkzeug im Kampf gegen Terrorismus, also politisch dominierte Verbrechen, dienen soll.
Gänzlich falsch ist die umgangssprachliche Bezeichnung Gentest. Denn unter Genen versteht man die Abschnitte der DNA, die für Proteine kodieren. Gene können Mutationen aufweisen, die für Erbkrankheiten verantwortlich sind. Natürlich wird die gesamte DNA isoliert, die Restprobe jedoch nach Abschluß der Untersuchung vernichtet. Eine Gen-Analyse stellt zur Zeit noch keine etablierte Methode in der forensischen Begutachtung durch Psychiater dar – damit ist auf längere Sicht aufgrund der Komplexität psychischer Störungen auch nicht zu rechnen – doch dazu müßte unter einer neuen Fragestellung ein richterlicher Erlaß verfügt werden und eine neue Speichelprobe gewonnen werden.
Je nach ethnischer Herkunft lassen sich bestimmte Muster von DNA-Merkmalen feststellen. Dabei handelt es sich aber lediglich um Differenzen in der Häufigkeitsverteilung dieser Merkmale. Deshalb ist es als problematisch anzusehen, wenn die Polizei beschließt, sich auf Ermittlungen in einer bestimmten ethnischen Gruppe zu beschränken, nur weil die Spur, die am Opfer sichergestellt wurde, ein DNA-Profil aufweist, das in der fraglichen ethnischen Gruppe verbreiteter ist als anderswo. Die DNA-Analyse als ermittlungstechnisches Wundermittel anzusehen, kann deshalb gefährlich sein. Sie muß stattdessen im Kontext mit anderen Ermittlungsergebnissen beziehungsweise Methoden gesehen werden.
Wachsamkeit ist also wichtig; aber wir sollten uns folgendes vor Augen halten: Als die Juden von ihren deutschen Mitbürgern in Ghettos und Viehwagons gesperrt wurden, die Tutsis in Ruanda von den Hutus mit Macheten abgeschlachtet wurden und General Jaruzelski das Kriegsrecht in Polen ausrief und noch in derselben Nacht die Häuser von Solidarnosc-Mitgliedern durchsucht wurden, reichten hand- oder maschinengeschriebene Listen und die Bereitschaft von Menschen, Handlanger eines Verbrechens zu werden.