Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 11. April 2005, Heft 8

Austria Felix

von Bernhard Romeike

Österreich war immer etwas anders. Deshalb nannte man es ja auch das glückliche Österreich: Felix Austria. Bis 1806 befand sich zwar die Hauptstadt des Reiches, das ein Deutsches sein sollte, in Wien. Dennoch war es anders, spätestens nach Königgrätz, als Preußen die »kleindeutsche Lösung« der deutschen Frage erzwungen hatte und Österreich auf sich selbst und seine osteuropäischen Besitzungen zurückgeworfen war. Irgendwie blieben die beiden deutschstämmigen Staaten aber aufeinander bezogen. Jedenfalls waren Deutschland und Österreich die beiden »Mittelmächte« des Ersten Weltkrieges.
Bedeutete dies aber, daß der kleinere Bündnispartner auf Gedeih und Verderb dem größeren ausgeliefert war? Keineswegs. Österreich-Ungarn hatte zwar militärisch wenig Erfolge in jenem Weltkrieg; im Zweifel sprang dem »Kamerad Schnürschuh« mit seiner schlamperten Kriegsführung die deutsche Kriegsmaschinerie zur Seite. Politisch-diplomatisch aber spielte Wien stets mehrere Karten. Ob es um den anvisierten polnischen Staat nach dem Sieg über Rußland ging oder um das Verhältnis zum Westen, Berlin konnte sich des Verbündeten nie wirklich sicher sein. Die militärische Schwäche Österreich-Ungarns und seine politische Handlungsfähigkeit waren immer zwei verschiedene Dinge.
Viele Jahrhunderte Politikerfahrung bildeten die Grundlage: Man muß Interessen haben, aber diese nicht zu Ende definiert offenbaren; man soll gegebene Zusagen durchaus einhalten, aber diese im eigenen Interesse befolgen; man sollte Bündnisverpflichtungen ernstnehmen, aber die eigene Handlungsfähigkeit erhalten. Im März 1917 noch fragte die Wiener Führung unter Kaiser Karl I. in Paris an, ob im Gegenzug zu einem Austritt Österreichs aus dem Kriege an der Seite Deutschlands Frankreich die Fortexistenz der k.u.k. Monarchie fest zusichern würde. Präsident Poincaré hatte dies ursprünglich positiv beantwortet, nur Ministerpräsident Clemenceau sah dies anders. Wäre es bei Poincaré geblieben, wäre nicht nur der Erste Weltkrieg anders ausgegangen, sondern auch die nachfolgende Entwicklung Europas anders verlaufen …
Szenenwechsel. Die Berliner PDS hat mitteilen lassen, daß sie sich in Sachen EU-Verfassung nicht gegen den Beschluß des Potsdamer Parteitages stelle. Die Mitteilung, man sei gegen die Verfassung als solche, werde dies aber nicht zur »Koalitionsfrage« machen, wirft die Frage auf, was das in einem wirklich politischen Sinne bedeutet. Variante 1: Man ist gegen die sogenannte EU-Verfassung; in der Koalitionsvereinbarung steht: Wenn es einen Dissens zwischen den Koalitionspartnern gibt, gilt die Enthaltung. Die ist dann definitiv im Bundesrat zu erklären – und erzeugt nicht automatisch einen Koalitionskrach, geschweige denn -bruch. So ist es Usus. Variante 2: Man erklärt, gegen die Verfassung sein zu wollen; der Koalitionspartner insistiert jedoch. Und dann gilt seine Stimme allein? Das heißt, im Bundesrat wird seitens der Landesregierung »Ja« gesagt; aber die PDS erklärt, dafür nicht zuständig zu sein. Variante 3: Man will eigentlich ein Ja und simuliert die Beschlußtreue nur. Dazu will ich jetzt nicht weiter debattieren.
Die eigentliche Problematik entsteht dadurch, daß gesagt wird, es solle nicht auf einen Koalitionsbruch hinauslaufen. Wie jetzt? Sind sie für ein Ja? Oder für ein Nein, das zwar als Nein gemurmelt wird, etwa in einer Landesabstimmung, aber nicht als Forderung nach einer Enthaltung der Koalition im Bundesrat kommuniziert wird? Wenn »der Koalitionspartner« mitteilt, für ihn sei das eine »Koalitionsfrage«, hat man dann nicht von vornherein kapituliert? Und sagt er »Ja«, mit dem Argument, daß die Bundeshauptstadt zu dieser wichtigen Verfassung nicht »Nein« sagen könne – dann hat die PDS kapituliert, ohne je gekämpft zu haben.
Gewiß, der Krieg ist der Krieg, und eine Koalition in der Demokratie ist etwas anderes. Tatsächlich? Oft wird vergessen, daß es eine Art Soziologie des politischen Handelns gibt. Danach ist Koalitionsfähigkeit nicht identisch mit ideologischer Nibelungentreue, und Nein ist kein Jein. Nur darf man natürlich vorher nicht sagen, was man alles nicht wollen täte. Denn das wäre politischer Dilettantismus.
Im Vergleich zur heutigen Berliner PDS waren die Diplomaten der k.u.k. Monarchie von 1917 grandiose Taktiker. Vor allem: Sie wußten, was sie wollten.