von Martin Nicklaus
Kaum verhält sich die NPD erwartungsgemäß, bricht Tumult aus, und diese unsägliche Partei bekommt Publicity von allen Seiten. So ungeheuerlich es auch war, den Holocaust und die Bombardierung Dresdens in einem Atemzug zu nennen, haben doch die Nationalisten nur pointiert zum Ausdruck gebracht, was der Historiker Jörg Friedrich über deutsche Opfer bei den Bombardierungen in seinem Erfolgsbuch Der Brand schon vor Jahren schrieb.
Das Parteiprogramm der NPD läßt sich mit der Textzeile eines Songs der Böhsen Onkelz zusammenfassen: Deutschland den Deutschen. Obwohl die Band davon heute nichts mehr wissen will, ging ihre Saat in Sachsen auf. Mit dem Protest gegen Hartz IV und den Geldern aus dem Wahlerfolg sind die Nationalisten deutschlandweit auf Stimmenfang.
Edmund Stoiber, der Stammtischpöbeln ständig mit öffentlicher Rede verwechselt, meldete sich aus der nicht unbegründeten Angst vor Stimmenverlusten zu Wort. Er macht die Regierung für das NPD-Erwachen verantwortlich und vergißt, daß für die Zustände in Sachsen die CDU verantwortlich zeichnet.
Andere fordern ein Parteiverbot und übersehen einen ganz entscheidenden Punkt: Bis heute ist ungeklärt, ob die Groschenjungs vom Verfassungsschutz die NPD unterwanderten oder doch eher aufbauten.
Wie immer, wenn es lauthals zugeht, soll natürlich abgelenkt werden. Denn gerade bringen Bundesregierung und ihr CSFDPU-Dunstkreis ihr Stück Reichtum den Reichen zur Aufführung. Bundestagsoffiziell gilt: Alle Macht den Reichen. Die NPD kontert mit Alle Macht den Deutschen. Beide grenzen Teile der Bevölkerung in Deutschland aus, hier die sozial Schwachen, dort die Ausländer. Nur, die Nationalisten verzichten wenigstens auf den Zynismus zu behaupten, ihr Programm sei eine Wohltat für die von ihnen Ausgegrenzten.
Oft wird vergessen, wer für den Nationalismus die Schwelle so katastrophal abgesenkt hat – mit ständigem Tönen über Zuwanderungsregelungen, Leitkultur und Wertediskussion, über Patriotismus, mit Streit gegen Islam oder Multikulti. Wer war und ist das, möchte man die Herren Schily, Schönbohm sowie Stoiber sowie Angela Merkel fragen. Was soll denn dieses Worthülsengedrechsel, mit dem inhaltlich nichts gesagt wird, dafür aber Metabotschaften transportiert werden, die an niederste »völkische Instinkte« appellieren? Die Debatte um die Zuwanderung führte inzwischen dahin, daß Otto Schily, in erstaunlicher Ausweitung seines Zuständigkeitsbereichs, Lager in Nordafrika forderte. »… und morgen die ganze Welt«? Oder unterstehen alle Gebiete, durch die je ein deutscher Panzer rollte, automatisch dem deutschen Innenminister?
Was die C-Parteipartisanen mit Leitkultur meinen, verschwimmt in einem Sumpf aus zerkochten Floskeln – Freiheit, Toleranz, Menschenwürde, Gleichberechtigung. Gemeint hatte der Schöpfer der Idee Leitkultur, Bassam Tibi, ursprünglich einen säkularen Normen- und Wertekatalog als Basis einer europäischen Identität. Der Begriff war nicht nationalistisch, sondern völkerübergreifend, international gemeint.
Was nur soll ein Patriot sein, einer, der sein Vaterland liebt? Wenn man sonst nichts Liebenswertes kennt, kann man auch sein Vaterland lieben. Aber warum muß man dabei rumkrakeelen? Ist Liebe nicht etwas Stilles, Zartes, Intimes? Scharfzüngiger formulierte es in der Süddeutschen Zeitung Juan Moreno: Patriotismus sei der Stolz der Dummen.
Patriotismus sollte in Deutschland, wenn überhaupt, in ganz kleinen Dosen genossen werden; er mutiert sonst schnell zum Wahn, der direkt ins Massaker mündet. Das gilt ebenso für Feindbilder. Zur Zeit muß der Islam herhalten. Selbstmordattentäter machen die Feindbildvermittlung natürlich leicht, insbesondere bei Menschen, die von Islam und Weltpolitik nur das wissen, was die Nachrichten melden, und ansonsten ihre Sicht der Dinge aus Huntingtons Almanach der Spekulationen, Unterstellungen und Irrtümer namens Krieg der Kulturen beziehen.
Geradezu putzig nimmt sich – neben der ansonsten gern verbreiteten proeuropäischen Reklame – die Verkündung Angela Merkels aus: Multikulti sei gescheitert. Natürlich hat sie recht, was die Interpretation als quasireligiöses Dogma einer wertefreien Pseudotoleranz angeht, hinter der sich Verantwortungslosigkeit, Desinteresse und völlige Beliebigkeit verstecken – was übrigens den Philosophen Leo Strauss zu der Frage veranlaßte, ob Kannibalismus eine Sache des Geschmacks sei. Wenn drei Brüder aus der Türkei in Berlin einreisen, um ihre vermeintlich abtrünnige Schwester hinzurichten, manifestiert sich hier keine in irgendeiner Form akzeptable fremde Kultur, sondern ein Mord. Näheres regeln Gesetze.
Ansonsten herrscht, was den Begriff Kultur angeht, ein nur durch große Dummheit oder ideologische Verblendung zu erklärender Purismus. Was ist Deutsch? Die Grundlagen der heutigen Rechtssprechung erdachten die Römer, unsere Religion, eng verwoben mit Judentum und Islam, entstand in Palästina, die Staatsform stammt aus Hellas, wo auch die Anfänge der Philosophie herkommen, die uns nur die Araber über die dunkle Zeit des Mittelalters retteten. Buchstaben lateinisch, Zahlen arabisch, Hauptnahrungsmittel Kartoffel aus Südamerika, Kalender von den alten Ägyptern, weitverbreitetste Hose, die Jeans, aus den USA. Unseren Lieblingssport spielten zuerst Engländer – womit wir bei einem Spitzenbeispiel für eine multikulturelle Gesellschaft sind: Deutschlands Fußballnationalmannschaft. Beim Match gegen Argentinien wurde das durch eine regelrechte Schokoladenseite augenscheinlich. Da spielte ein in Ghana geborener Mann vor einem, dessen Vater Nigerianer ist. Beide versuchten, einen Stürmer mit Bällen zu füttern, der brasilianische Wurzeln hat. Sein Stürmerkollege, an diesem Tage erkrankt, wurde in Polen geboren und wuchs in Frankreich auf. Zwei Spieler der Mannschaft leben und arbeiten in England und ein weiterer hat eine lettische Großmutter.
Selbst die NPD kann sich gewisser multikultureller Elemente nicht enthalten. Ihre Vorstellung von der Frau mutet sehr wahhabitisch an.
Na ja, und wenn Stoiber seine Parolen von den Werten ins Bierzelt hämmert, steckt dahinter lediglich die archaische Bayernparole vom »Mir san mir«. Übersetzt ins Hochdeutsche heißt das: »Deutschland den Deutschen«.
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