von Hermann-Peter Eberlein
Einen »gewerbsmäßigen Pornographen« haben ihn seine Gegner geschimpft, ein »perverses Kloakentier« oder einen »Industrieritter der Erotik«. Dabei war Hugo Bettauer Aufklärer, homo politicus, Humanist, ja geradezu Moralist von hohen Graden in dem deskriptiven Sinne, wie ihn die französische Literatur von Montaigne über La Rochefoucauld bis zum Verfasser der »philosophie dans le boudoir« kennt. Vor achtzig Jahren, am 10. März 1925, wurde er von einem Nazi niedergeschossen und starb sechzehn Tage später. Heute ist er weitgehend vergessen.
Hugo Bettauer wird am 18. August 1872 in Baden bei Wien als Sohn eines vermögenden Börsenmaklers jüdischen Glaubens geboren. In Wien besucht er (eine Zeitlang gemeinsam mit Karl Kraus, der später sein scharfer Kritiker werden wird) das Gymnasium, doch schon bald zeigt sich sein unbändiger Freiheitsdrang: Er reißt aus nach Alexandria, wird wieder nach Hause gebracht, konvertiert zur evangelischen Kirche, versucht es kurzzeitig beim Militär, übersiedelt nach Zürich, heiratet seine Jugendliebe und wandert schließlich in die USA aus. In New York nimmt er die amerikanische Staatsbürgerschaft an und arbeitet kurzzeitig als Journalist für Zeitungen des Hearst-Konzerns. Um die Jahrhundertwende aber kehrt er ins »alte Europa« zurück und macht sich in Berlin durch die Aufdeckung von Korruption in Bürokratie und Polizeiapparat einen Namen; 1904 muß er deswegen Preußen verlassen. Nach kurzen Zwischenspielen in München (wo er bei den Elf Scharfrichtern anheuert) und Hamburg kehrt er für sechs Jahre nach New York zurück; neben seiner journalistischen Tätigkeit beginnt er dort mit dem Schreiben von Fortsetzungsromanen.
Doch 1910 zieht es Bettauer wieder nach Wien; hier arbeitet er bis Kriegsende bei einer der wichtigsten Zeitschriften des Landes, der Neuen Freien Presse, danach als Korrespondent für New Yorker Zeitungen. Ab 1919 veröffentlicht er in rascher Folge eine Vielzahl von Romanen, meist Kriminalromane mit sozialkritischer Tendenz, darunter: Faustrecht, Hemmungslos, Der Kampf um Wien, Die freudlose Gasse. Am bekanntesten wird Die Stadt ohne Juden. Ein Roman von Übermorgen. Im Jahr 1922 als Plädoyer für Toleranz gegen den alltäglichen Antisemitismus der alpenländischen deutschtümelnden Nationalisten geschrieben, wirkt die Geschichte der Vertreibung aller Juden aus Österreich (und ihrer späteren zerknirschten Rückholung) heute wie makabre Prophetie. Für Bettauer ist das in viele Sprachen übersetzte Buch ein großer Erfolg; mit Hans Moser wird es verfilmt, so wie später Die freudlose Gasse mit der jungen Greta Garbo.
Daneben gründet der Autor eigene Zeitschriften: Bettauers Wochenschrift. Probleme des Lebens und Er und Sie. Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik. Mit diesem Organ will er die Beziehungen zwischen den Geschlechtern »aus dem Sumpf einer verlogenen Pseudomoral zur sittlichen, freien Höhe emporheben«. Er nimmt Stellung zu Promiskuität und gleichgeschlechtlicher Liebe, fordert die Entkriminalisierung der Abtreibung und die Gleichstellung unehelicher Kinder und engagiert sich für die soziale und politische Anerkennung der Prostituierten. Mit hoher Sensibilität für die Unterdrückung vor allem von Frauen durch lebensfeindliche Normen tritt er für eine freie Sexualität auch außerhalb der Ehe und jenseits klerikaler oder bürgerlicher Diktate ein.
Die Reaktion läßt nicht auf sich warten. Nach nur fünf Ausgaben wird die Zeitschrift verboten, Bettauer wegen »Vergehens gegen die öffentliche Sittlichkeit« angeklagt. Im Wiener Gemeinderat kommt es zu Tumulten zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten, der Bundeskanzler, Prälat Ignaz Seipel, spricht von einer »Flut von Pornographie« und fordert eine »Sanierung der Seelen«. Zwar lautet das Urteil letztlich in allen Punkten auf Freispruch, aber der »Fall Bettauer« ist geboren: Eine Flut von antisemitisch geifernden Hetztiraden ergießt sich über den Herausgeber, laut wird zur Lynchjustiz aufgerufen. Als der Zahntechniker Otto Rothstock schließlich seine Pistole zieht und zur Tat schreitet, kann er sich der Unterstützung der »moral majority« im Lande sicher sein. Ein prominenter Nationalsozialist übernimmt seine Verteidigung; der Mörder wird freigesprochen, jedoch in eine Heilanstalt eingewiesen. Bereits im Frühjahr 1927 ist er wieder ein freier Mann.
Bettauers Werke – sicher keine große, aber sozial engagierte Literatur – blieben für Jahrzehnte vergessen. Erst Anfang der achtziger Jahre kam es zu einigen Neuauflagen; Der Frauenmörder gibt es mittlerweile auch als Hörbuch. Im Juni 2002 wurde in der Langen Gasse in der Wiener Josefstadt, nahe der Redaktion seiner Wochenschrift, eine Gedenktafel für den Autor angebracht. Zum achtzigsten Jahrestag seiner Ermordung sind keine großen Aktivitäten geplant – das wird man auch nicht erwarten können. Den Ungeist verklemmter und frustrierter Kleinbürger, die ihre eigene Beschränktheit mit Moral verwechseln und sich zur Majorität erklären, gibt es trotz »sexueller Revolution« immer noch, und ihre politische Bedeutung wächst nicht nur in den USA. Was Moral wirklich ist, kann man bei Bettauer lernen.
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