Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 14. Februar 2005, Heft 4

Sibylle

von Ursula Malinka

Wer erinnert sich noch daran, daß im Februar 1995 die letzte Ausgabe der Zeitschrift Sibylle erschien? Scheinbar ohne Vorwarnung war plötzlich Schluß. Daß die Zeitschrift letztmals erschienen war, fand kaum Beachtung. Eine kurze Auferstehung und Erinnerung erfuhr sie dann durch den reichlich drei Jahre später von Dorothea Melis herausgegebenen Band Sibylle. Modefotografie aus drei Jahrzehnten DDR
Der Verlag für die Frau gab unter anderem vier verschiedene Modezeitschriften als Periodika heraus sowie Sonderhefte zu diesen Periodika. Eine dieser Modezeitschriften war die Sibylle gewesen. Sie erschien alle zwei Monate, kam aus Berlin und war ganz anders als herkömmliche Modemagazine. Die Sibylle trug den Untertitel Zeitschrift für Mode und Kultur. Und das war sie auch. Sie stellte im Modeteil vor allem Modelle vor, die man in verschiedenen Geschäften, zum Großteil allerdings in den teuren Exquisit-Läden kaufen konnte. Sie stellte aber auch vom Modeinstitut der DDR entworfene Kollektionen vor, die in den normalen Konfektionsabteilungen der Warenhäuser angeboten wurden. Große Konfektionsbetriebe kreierten ihre eigenen Kollektionen, die sie dem Handel anboten. Sibylle informierte eher über aktuelle Mode. Durch Modelle zum Nacharbeiten, zu denen auch der Schnitt geliefert wurde, konnte man echte Highlights der internationalen Mode für sich schneidern. Die Sibylle war eine Zeitschrift für etwas anspruchsvollere Frauen, die vielseitig interessiert waren und für die Ästhetik, Kunst und Kultur und Mode wesentliche Bestandteile ihres Lebens waren, neben ihrer Berufstätigkeit.
Den Publikationen des Verlages für die Frau und dem Verlag selbst waren nach der Wende unterschiedliches Schicksale beschieden. Von den Modezeitschriften konnte sich letztlich keine halten. Der Verlag wurde mit der Privatisierung in Buchverlag für die Frau umbenannt und gehörte verschiedenen Verlagsgruppen an. Seit 2001 ist der Verlag wieder vollkommen selbständig.
Die Sibylle ging einen eigenen Weg, hat es aber auch nicht geschafft. Man könnte ganz lapidar feststellen, daß die Sibylle einige Anstrengungen unternommen hat, sich zu behaupten, was ihr aber schließlich nicht gelang. Wie bei einem Krebspatienten, der zunächst alle Behandlungen übersteht, dann aber doch stirbt. Ganz so einfach liegt der »Fall Sibylle« jedoch nicht, denn die Sibylle präsentierte sich zu dem Zeitpunkt, da sie Konkurs anmelden mußte in einem Zustand, daß man als Leser glaubte, sie habe es geschafft. Sie war wieder eine außergewöhnliche Zeitschrift. Wie war es dann möglich, daß sie vom Olymp, den sie sich erobert hatte, nun unrettbar abstürzte? Das Problem war – daß sie wieder eine niveauvolle Zeitschrift in typischer Sibylle-Manier geworden war. Zwischenzeitlich hatte es für die Stammleser und Abonnentinnen aus dem Osten wenig Grund gegeben, ausgerechnet die Sibylle zu kaufen, da sie sich einen Stil zulegte, der nicht ihrer war. Dies konnten natürlich nur die Frauen des Ostens wahrnehmen, die die Zeitschrift aus DDR-Zeiten kannten. Verloren hatte die Sibylle ihre Einmaligkeit, die ihr von allen Seiten vor allem 1994 und zu Beginn des Jahres 1995 aufs neue wieder bescheinigt wurde, in den Jahren 1990 und 1991, als sie eine andere hatte werden wollte. In dieser Zeit hatte sie sich permanent mit Elle, Vouge, Petra oder Brigitte verglichen und sich deren Stil angepaßt. Es hatte bereits mit Heft 3/1990 begonnen. In diesem Heft veranstaltete die Sibylle eine Leserumfrage, die ganz seltsame Fragen enthielt, zum Beispiel, ob wir gern Kaufangebote aller Art in der Zeitung hätten, ob wir über Haushalt und Heimelektronik informiert werden wollen, ob wir in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern leben und so weiter.
Natürlich fragte sie auch nach ihren eigentlichen Themen, aber mit der Art, wie sie das tat, stellte sie ihr bisheriges Konzept vollkommen in Frage. Man fragte sich wirklich, wen die Sibylle als ihre Leser vermutete. Wen vermutete die Sibylle einerseits und wen hätte sie gern als Leser, diese Fragen stellte ich mir angesichts des Fragebogens. Als Stammleser fühlte ich mich mit den Fragen vor den Kopf gestoßen – für den Westen war er eine Einladung, so kam er bei mir an. Um für den Westen attraktiv zu werden, war man bereit, eine ganze Reihe von Zugeständnissen zu machen – auf Kosten des Ostens. Die Bitten und Wünsche der Stammleserschaft wurden nicht berücksichtigt.
Obwohl die Sibylle auch auf den Kopf zielte, paßte sie sich zunächst der Landschaft der westdeutschen Frauenzeitschriften an – ihr Ziel war offensichtlich, zu werden wie sie, wie die besseren unter ihnen natürlich. Das heißt, sie bediente ein konservatives Frauenbild, indem sie Mode und Kosmetik von Luxusfirmen anpries und so tat, als sei die Teilnahme am europäischen Jetset das wichtigste, das uns bisher gefehlt hatte. Sie wandte sich also an eine Zielgruppe, die in der DDR überhaupt nicht existierte. Selbst wenn ihre Leserinnen in der DDR vorrangig Intellektuelle gewesen sein sollten oder eben gebildete interessierte Frauen, verkannte sie völlig, daß auch diese Frauen von den Umbrüchen und von den neuen Sorgen betroffen waren und in ihrer Zeitschrift Halt und etwas Vertrautes suchten. Statt dessen stilisierte sich die Zeitschrift zum Life-Style-Magazin, völlig abgehoben von der sie umgebenden Realität ihrer Leserinnen.
Erst 1994 fand die Zeitschrift wieder zu sich selbst. Doch ökonomisch stand sie auf so wackligen Beinen, daß die Redaktion notgedrungen einen eigenen Verlag gründete, um die Zeitschrift weiter herausbringen zu können. Es war nur ein Aufschub, aufzuhalten und zu verhindern war der Konkurs nicht.
Die Sibylle hat nach der Wende die Leserinnen immer wieder gefragt; aber es waren nicht mehr die Leserinnen der Sibylle, die waren Sibylles Horizont längst entschwunden. Im Fall der Zeitschrift Sibylle muß man leider sagen, nicht die Leser haben ihre Zeitschrift verlassen, sondern die Zeitschrift war ohne ihre Stammleser auch nur an Bord zu nehmen davongesegelt.