Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 28. Februar 2005, Heft 5

Das Kapital

von Wladimir Wolynski, Moskau

Roman Arkadjewitsch Abramowitsch ist »Neuer Russe«. Er verfügt sowohl über Geld als auch über Einfluß. Einfluß hat er seines Geldes wegen, und sein Geld mehrt er durch seinen Einfluß. Neue Schätzungen besagen, daß er ein Vermögen von mindestens zehn Milliarden Euro sein eigen nennt. Im März 2004 rangierte er auf der Liste der reichsten Einwohner des Vereinigten Königreiches, seinem »Exil«, auf dem ersten Platz. Die Zeitung The Mail on Sunday schätzt, daß sein Vermögen siebenmal größer ist als das der Königin. Wie kam der 38jährige zu seinem Vermögen?
Roman Abramowitsch wurde am 24. Oktober 1966 in Saratow geboren. »Meine Eltern«, sagt er von sich, »kannte ich kaum. Ich lebte bei einem Onkel in Moskau. Habe die Schule absolviert, in der Armee gedient. Dann studierte ich und gründete eine Firma. Wir haben Spielzeug hergestellt. Noch später war ich Börsenmakler.« 1992 war gegen Abramowitsch wegen Diebstahls ermittelt worden. Beschuldigt, 55 Kesselwagen Dieselöl verschoben zu haben, verschwanden die Akten, wie von einem Zauberstäbchen berührt. Es war aber vermutlich wohl eher ein Zauberpäckchen: Dollar. 1995 traf Roman Boris. Zuerst Boris Beresowski. Und bald auch den anderen Boris, Jelzin. Letzterer wollte als Präsident wiedergewählt werden und brauchte dazu Geld. Boris Beresowski erwies sich als Meister der politischen Intrige, Roman Abramowitsch als ein vigilanter Makler, und im Verein mit einem gewissen Chodorkowski sowie anderen Oligarchen finanzierte man die Wiederwahl Jelzins.
Dessen Gegenleistung: die »Dreierbande« und einige weitere Ochsen, denen man dem Sprichwort folgend, beim Dreschen nicht das Maul verbunden hatte, privatisierten die sowjetische Erdölindustrie. Ein gefundenes Fressen. Von jedem Unternehmen blieben im Gestrüpp dieser russisch »priwatisazija« geheißenen Riesengaunerei dubioser Gummi-Entchen-Hersteller, Tunichtgute mit und ohne Amt und Würden jeweils ein bis zwei Prozent »Maklergebühren« kleben (Boris I. riß sich neben anderen Filetstücken den Moskauer Internationalen Flughafen Scheremetjewo unter den Nagel). Im Volksmund heißt dieser Prozeß deshalb nicht »priwatisazija« sondern »prichwatisazija«. Das trifft den Nagel auf den Kopf, denn »prichwatitj« bedeutet im Russischen sinngemäß: etwas mitnehmen, sich etwas aneignen, an sich reißen, unter den Nagel reißen. Im Ukas Nr. 872 unterschrieb Jelzin die Bildung des Unternehmens Sibneft. Dieses bezahlte die Wahlkampagne Jelzins im Fernsehsender ORT. Das mehrere Milliarden Wert verkörpernde Unternehmen Sibneft wurde von Beresowski und Abramowitsch für einhundert Millionen »privatisiert«. Woher der damals 29jährige Abramowitsch diese Millionen hatte, ist ungeklärt.
Nachdem Jelzin wiedergewählt worden war, stieg Abramowitsch zum Bankier der Familie Jelzin auf. Einkäufe der Frau Jelzin wurden von Sibneft beglichen; kaufte Jelzins Töchterchen Tatjana Borissowna Djatschenko eine weitere Villa, überwies Sibneft den Kaufpreis. Und Roman immer still und leise in der zweiten Reihe. Lediglich bei Geschäften stand er vornan.
Nachdem Jelzin in seinen Staats- wie Privatgeschäften und nebenbei auch noch im Wodka seinen Verstand verloren hatte (unvergessen sein Auftritt als stark angetrunkener Staatschef in Berlin beim Abschied der Truppen Rußlands aus Deutschland) und durch Wladimir I. Putin abgelöst worden war (nicht ohne daß man ihm, Jelzin, zugesichert hatte, keines seiner undurchsichtigen Geschäfte werde jemals durchleuchtet oder gar verfolgt werden), ging Beresowski auf Distanz und vorsichtshalber ins Ausland. Chodorkowski aber löckte in Rußland gegen den Stachel und ging in die Matrosskaja Tischina (Matrosenstille), heute ein Moskauer Nobelgefängnis.
Abramowitsch war auch dem neuen Kremlherrn behilflich und schanzte diesem die Verfügungsgewalt über den Fernsehsender ORT zu. Dafür gab Wladimir Putin grünes Licht für die Fortsetzung der »prichwatisazija«. Abramowitsch übernahm Beresowskis Anteil an Sibneft und verdient – wie immer still und heimlich und in der zweiten Reihe stehend – an der Zerschlagung von Chodorkowskis Ölimperium.
Seit Dezember 2000 ist Abramowitsch übrigens auch Gouverneur des Autonomen Gebiets der Tschuktschen, also der Halbinsel Tschukotka im äußersten Nordosten Rußlands – gewählt mit 92 Prozent aller Stimmen. Er verdient dort einen großen Teil seines Geldes, und die Steuern seiner Unternehmen machen den Löwenanteil des öffentlichen Haushalts aus. Über die Millhouse Capital kontrolliert er achtzig Prozent am fünftgrößten russischen Ölkonzern Sibneft, außerdem fünfzig Prozent am Aluminiumkonzern RUSAL und 26 Prozent an der Fluggesellschaft Aeroflot. Darüber hinaus hat er seine Finger in verschiedenen Unternehmen der verarbeitenden Industrie.
Roman Abramowitsch schuldet der Staatskasse Rußlands Steuern – und Putin streckt die Hand nach Sibneft aus. Aber Abramowitsch hat vorgesorgt: Nach vorsichtigen Schätzungen hat er in den vergangenen anderthalb Jahren etwa zwei Milliarden Dollar aus Rußland transferiert. In England sitzt sich’s besser aus als in der Matrosskaja Tischina.