von Dries Loppe
Mitte Januar passierte in Potsdam etwas Außergewöhnliches: Das Stadtoberhaupt erklärte den Bürgern den städtischen Haushalt. Öffentlich und ganz direkt. Die Idee eines sogenannten Bürgerhaushaltes stammt aus Porto Alegre in Südbrasilien. Dort beraten schon seit Jahren die Bürger in einem umfangreichen Verfahren über den Haushalt ihrer Stadt mit, bevor er im Stadtparlament beschlossen wird. Sie diskutieren über Prioritäten, machen Vorschläge, beurteilen den Entwurf der Verwaltung und lassen sich Rechenschaft über die Umsetzung des Haushaltes geben. Inzwischen machte die Idee Schule. Heute gibt es Bürgerhaushalte in vielen Kommunen Brasiliens, ebenso in anderen lateinamerikanischen Ländern, in Neuseeland, in Frankreich, in Spanien und in Italien.
Selbst in Deutschland gab es bereits einen Modellversuch, an dem sechs Kommunen in Nordrhein-Westfalen teilnahmen. Unter Anleitung der Bertelsmann-Stiftung wurde allerdings die Zielsetzung ein wenig
variiert. Das löbliche Ergebnis war dann: »Die Einsicht in die Notwendigkeit zu sparen ist vorhanden. Sie wird überdies begleitet von der Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, auch zum eigenen Nachteil auf Leistungen der öffentlichen Hand zu verzichten.« Na Bitte, geht doch.
Gegenwärtig gibt es umfangreiche Vorbereitungen in der Bundeshauptstadt, ebenfalls Bürgerhaushalte einzuführen. In Berlin ging die Initiativen von unten aus; heute engagieren sich auch die Parteien und ihre Stiftungen – miteinander.
Nunmehr hat die Idee also auch Potsdam erreicht. Wie oft, wenn etwas Neues gewagt wird, war auch auf dieser Veranstaltung noch viel Unsicherheit zu spüren. Der Finanzbeigeordnete gab eingangs einen Überblick über den Gesamthaushalt in düsteren Farben. Gleich danach suggerierten die Beigeordneten für Bau, Soziales und Bildungen: alles im Griff. Das machte es den Bürgern anschließend schwer, ihre Meinung zu sagen oder Fragen zu stellen. In die Lücke sprangen die Lokalpolitiker, zuerst die der CDU. Das wiederum ließ die PDS nicht ruhen. Was schließlich der SPD die Gelegenheit zum Einwand bot, die Stadtverordneten hätten doch andere Möglichkeiten, und das wäre die Stunde der Bürger – um gleich selbst noch für eigene Veranstaltungen zu werben. Auch jene kleine Stadtfraktion, die sich Die Andere nennt, war in dieser Hinsicht kein bißchen anders. Die Brasilianer waren offenbar gut beraten, die Politiker von diesem Teil des Verfahrens auszuschließen.
Am bedauerlichsten an der Potsdamer Veranstaltung war jedoch, daß der Oberbürgermeister wenig über den weiteren Weg sagen konnte. Künftig, so der Oberbürgermeister, sollen die Potsdamer nicht nur zuhören, sondern mitreden können, vielleicht sogar mitentscheiden. Aber wie konkret? Dabei müßte in einem halben Jahr alles in Sack und Tüten sein, um für den nächsten Haushalt zu funktionieren. Erst recht, wenn der Oberbürgermeister seine Andeutung umsetzen wollte, daß die Bürger wie in Porto Alegre bereits über die Prioritäten vor der Haushaltsaufstellung beraten sollen dürfen. Doch mehr als solche vagen Absichten waren nicht zu hören.
Also alles wie gehabt? Nein, denn schon mit diesem schwachen Beginn ist mehr erreicht, als es je in einer brandenburgischen Kommune gab. Nie zuvor hat eine Stadtverwaltung ihre Bürger so direkt über den Haushalt informiert. Nie zuvor konnten die Bürger (und die Stadtverordneten) die wesentlichen Zahlen in einer knappen verständlichen Broschüre nachlesen. Außerdem kann der Bürgerhaushalt durchaus ein Eigenleben entfalten, die Macht der Machtpolitiker begrenzen und die des Citoyens stärken. Es kommt jetzt drauf an, was man daraus macht. Am Ende könnten mehr Demokratie, mehr Bürgernähe und eine größere Effizienz stehen.
Jetzt sind die Stadtfraktionen gefragt. Sie müßten auf eine schnelle Festlegung der Spielregeln dringen. Die Teilnahme am Bürgerhaushalt muß zeitlich leicht und ohne größeren Aufwand möglich sein. Also keine Diktatur des Sitzfleisches und keine Dominanz der Aktivisten. Die Bürger müßten frühzeitig beteiligt werden. Bereits zu Beginn sollte verabredet werden, wie verbindlich die Vorschläge der Bürger sind.
Der Verwaltung kann man nur Optimismus und Engagement wünschen. Wenn es ihre Herzenssache wird, dann wird was draus. Dann haben nicht nur die Bürger etwas davon, sondern auch die Verwaltung selbst. Mindestens wird sie sich akzeptierter fühlen. Vor allem aber sind die Bürger selbst gefragt. Die Tür zu mehr Mitsprache steht einen Spalt offen, und es ist an ihnen einzutreten, damit die einstige Maxime Richelieus nicht nur formal, sondern tatsächliche der Vergangenheit angehört: »Der Haushalt ist der Nerv des Staates. Daher muß er den profanen Augen der Untertanen entzogen werden.«
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