von Ronald Lötzsch
Als zwangsvereinnahmtem überzeugtem Zweistaatler kann es mir eigentlich, vulgär ausgedrückt, scheißegal sein, wie und wann die bundesdeutschen »Sieger der Geschichte« ihren vermeintlichen Triumph feiern. Ich meine damit nicht nur die notorischen kalten Krieger, die in der Liquidierung der DDR ihr Lebensziel sahen. Dies gilt auch für jene Trittbrettfahrer, die sich jahrelang bei der SED-Politbürokratie fast bis zu deren kläglichem Ende die Klinke in die Hand gegeben hatten. Nicht, daß sie gleich mit umgeschwenkt wären, als die Kundgebungslosung Wir sind das Volk gegen Wir sind ein Volk ausgetauscht wurde. Sie unterstützten auch nicht vorbehaltlos Kohls »Blühende-Landschaften«-Demagogie. Doch kaum war klar, daß diese von Erfolg gekrönt sein würde, wollten auch sie mit von der Partie sein. Und daß es zur baldigen »Wiedervereinigung« kommen würde, stand fest, nachdem bei der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 zwei Drittel DDR-Bürger der Allianz für Deutschland und deren buntscheckigem Anhang das Mandat für den Anschluß erteilt hatten.
An der »Abwicklung« der DDR-Eliten, einer der markantesten Komponenten der Kolonialisierung Ostdeutschlands, beteiligten sich dann alle etablierten westdeutschen Parteien sowie die jeweils unterschiedlich von ihnen dominierten Länder. Selbst die Regierungschefs wurden in drei der fünf wiedererstandenen Ostländer anfänglich vom Westen gestellt. Im seit der vorigen Landtagswahl nicht mehr ganz so schwarzen Sachsen ist dies bekanntlich bis heute der Fall.
Im Bund jedoch regieren seit sechs Jahren die ehemaligen Trittbrettfahrer. Sie erweisen sich dabei als die weit effektiveren Erfüllungsgehilfen des Kapitals. Sie sind nicht nur die »flexibleren« Außenpolitiker, sondern auch die skrupelloseren »Umgestalter« des Sozialstaats.
Ihr »Patriotismus« hingegen läßt offenkundig trotz aller lauten Bekundungen nach wie vor zu wünschen übrig. Wie hätte es sonst geschehen können, daß die wohl hellsten Leuchten der Schröder-Fischer-Regierung, der »Super«-Wirtschafts- und der Finanzminister, in Absprache mit dem Kanzler ausgerechnet den geheiligten Tag der Deutschen Einheit (gelegentlich auch »Tag der deutschen Gemeinheit« geheißen) kurz nach dessen 15. Begehung abschaffen wollten. Denn so lautete die mehrheitliche Interpretation des Vorschlags, am letzten Sonntag vor dem 3. Oktober zu feiern, bei den Opponenten unterschiedlichster Couleur. Also von Tiefschwarz bis »Rot«, wenn man der SPD diese Farbe noch zubilligen zu dürfen glaubt. Denn auch in der eigenen Partei murrten einige.
Sogar der Bundespräsident schaltete sich ein. Zuerst telefonisch, als der gerade in Tegel gelandete Kanzler noch auf dem Weg in sein Amt war. Dann in einem höflichen Brief, der sich allerdings bereits in den Händen der Presse befand, bevor er Schröder erreichte. »Aus Versehen«, hieß es. Ein erst kürzlich ins Bundespräsidialamt gewechselter Mitarbeiter habe da etwas falsch gemacht. Der Kanzler reagierte erst einmal sauer, knickte aber nach wenigen Stunden ein, nachdem auch der grüne Koalitionspartner zu maulen begann, weil er nicht eingeweiht worden war.
Wie gesagt, mir kann das eigentlich egal sein. Ich habe diesen »Tag der Deutschen Einheit« nie gefeiert. Mich lediglich – in Maßen – an »Einheizfeiern« der PDS beteiligt. Solange diese noch stattfanden.
Und dennoch hätte ich dem gescheiterten Vorstoß der SPD-Leuchten etwas abgewinnen können. Falls sie es nicht bei dem einen Tag hätten bewenden lassen. Es gibt ja noch eine ganze Reihe andere Feiertage, die den normalen Wochenablauf völlig durcheinander bringen. Außerdem ist der 3. Oktober nicht einmal der schlimmste Fall. Er kann ja alle paar Jahre auch einmal auf den Sonntag fallen. So wie Weihnachten und Neujahr.
Selbstverständlich würde ich nie wagen vorzuschlagen, Weihnachten, sagen wir, auf den letzten Sonntag vor dem Jahreswechsel zu verlegen. Schließlich umrahmt die Weihnachtszeit, in der die Glocken am süßesten klingen, das allerheiligste Fest der Deutschen. Selbst die Idee, wenigstens den zweiten Feiertag einzusparen, erschiene mir zu riskant. Da würden womöglich Zustände provoziert, wie sie in den letzten Wochen die Ukraine durchlebte. Vielleicht sogar noch schlimmere. Etwa solche, deren Ausbruch man befürchten müßte, wollte man die Bevölkerung der ehemaligen Besatzungszone des Römischen Reiches und des Randgebietes östlich und nördlich vom Limes dazu zwingen, auch in den letzten Tagen der sogenannten fünften Jahreszeit zu arbeiten. Und das damit zu begründen, daß ja Rosenmontag, Karnevalsumzugstag und Aschermittwoch keine gesetzlichen Feiertage sind.
Wie dem auch sei, ganz ohne Kompromisse, auch etwas angefaulte, wird es wohl kaum abgehen, wenn das Dickicht der christlichen und unchristlichen Feiertage ein bißchen – »ein Stück weit«, um es westdeutsch zu formulieren – irgendwann einmal gelichtet werden sollte.
Die DDR-Oberen haben es ja vorgemacht. Weihnachten blieb unangetastet. Ebenso der Karfreitag. Ostern wurde auf den Sonntag begrenzt. »Christi Himmelfahrt«, fällt, da sie am 40. Tag nach Ostern gefeiert wird, stets auf den vorletzten Donnerstag vor Pfingsten. Da dieser Feiertag bis 1966 in der DDR auch als »Vatertag« begangen wurde, dessen Folgen sicher oft bis zum nächsten »blauen« Montag reichten, dürfte seine dann erfolgte Abschaffung positive Auswirkungen auf die Wirtschaft gehabt haben. Übrigens: Die entsprechende Begründung für den Vorschlag, den »Tag der Deutschen Einheit« auf einen Sonntag zu verlegen, haben bundesdeutsche Ökonomen abgelehnt …
Schließlich sei daran erinnert, daß auch die christlichen Kirchen bei der Festlegung ihrer Feiertage Kompromisse eingegangen sind. Die »Geburt Jesu« wird seit 354 am 25. Dezember gefeiert. Das Datum des Osterfestes wurde dagegen nach langen Streitereien im Jahre 325 auf einem Konzil auf den ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach Frühlingsanfang festgesetzt. Da jedoch der Frühlingsbeginn in den einzelnen Kirchen unterschiedlich berechnet wird, bestehen bis heute Unterschiede. Während die Ostkirchen noch den Julianischen Kalender zugrunde legen, sind die Westkirchen später zum Gregorianischen übergegangen. Auf jeden Fall aber ist es ein Ostersonntag. Und damit steht auch für Pfingsten der Sonntag fest, denn die »Ausgießung des Heiligen Geistes« erfolgte am 50. Tag nach der »Auferstehung«.
Die extreme Rücksichtnahme auf die Kirchengeschichte nicht nur in der »freiheitlich-demokratischen Grundordnung«, sondern etwa vierzig Jahre lang auch im »real existierenden Sozialismus« wirft im übrigen ein bezeichnendes Licht auf die gerade in diesen Tagen manchmal zu hörende Behauptung, die »Trennung von Staat und Kirche« gehöre zu den »Grundwerten der deutschen Leitkultur«.
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