von Kurt Merkel
Bei einer Reise nach den Philippinen Anfang der achtziger Jahre fand ich auf dem üblichen Einreiseformular eine Spalte, in der ich Auskunft geben sollte über meine ethnische Zugehörigkeit. Nun stürzte mich das nicht eben in eine Seinskrise, und ich quälte mich nicht mit der Frage »Wer bin ich eigentlich?« Aber ich erbat doch Rat, die Beantwortung der aufgeworfenen Frage betreffend. Ich erfuhr auf diese Weise, ich sei selbstverständlich »Kaukasier«. Die Verwalter des Landes hatten offenbar die Absicht, endlich Ordnung in das auf den tausend Inseln bestehende Durcheinander der Rassen zu bringen, denn da gab es neben den vielen verschiedenen ursprünglich auf den Inseln lebenden Völkern auch die Nachfahren malayischer Händler, die einst den Islam in einige Landesteile gebracht hatten, sowie die der spanischen Kolonisatoren samt deren spanisch-philippinischen Abkömmlingen verschiedenen Mischungsgrades, wie auch die der amerikanischen Besatzer, nicht zu sprechen von den Chinesen der verschiedenen Einwanderungswellen.
Ich gehörte in diesem Gemenge also zu den bleichgesichtigen Kaukasiern. Man ist ja nun einmal in fast allen Ländern der Welt Fremder, Ausländer zumal, und als solcher Teil einer Minderheit. Das brachte mir in den Philippinen keine Probleme ein, und an den mir bis dahin nicht geläufigen Begriff »Kaukasier« konnte ich mich schließlich gewöhnen, es war ja glücklicherweise nicht der russisch bestimmte, der mit »Terrorist« zu übersetzen wäre. Wer nun aber im eigentlichen Sinne Philippiner war oder, wie es sich damals gerade zu sagen einbürgerte, Filipino, machte den Leuten doch erhebliche Schwierigkeiten. Ein Freund, chinesischer Filipino in der zweiten Generation, lud mich ein zu einer Feriensiedlung, die er auf der der Hauptinsel Luzon benachbarten Insel Madura betrieb. Er war völlig philippinisiert, sprach neben Chinesisch, Englisch und Spanisch selbstverständlich die Landessprache Pilipino, die aus dem in Zentralluzon gesprochenen Tagalog entwickelt worden war. Er hatte sogar einen spanischen Vornamen, Emanuel, der von seinen Freunden in der landesüblichen Weise zu Maning verändert wurde.
Mit Maning also wanderte ich in den Bergen auf Madura, wo Eingeborene jener Insel uns begegneten, mit traditionellem Lendentuch und die Zivilisiertheit belegendem zerfetzten T-Shirt bekleidet. Sie verstanden keine der Maning zur Verfügung stehenden Sprachen. Und der chinesische Filipino oder philippinisierte Chinese kam zum Schluß, den er mir verkündete: Das sind keine Filipinos. Offensichtlich verstand er sich als Vertreter einer, in Teutschland würde man heute sagen »Leitkultur«, zu der die Lendentuchträger eben nicht gehörten, und zwar nicht wegen ihrer Eigenschaft als Maduresen, sondern wegen ihrer Nichtzugehörigkeit zu einer der die Staatskultur tragenden sozialen Schichten. In den von den Reichen des Landes bewohnten Stadtteilen der Hauptstadt lebten denn auch, durch Mauern von der übrigen Stadt getrennt und von bewaffneten Wächtern in ihrer Isoliertheit beschützt, philippinische Bürger jeglicher Herkunft friedlich beisammen, sie waren Minister, Richter oder Banker, Manager, General oder Politiker, sie verstanden sich als Repräsentanten »der Philippinen«. Die wirklichen Unterschiede waren eben damals dort wie auch heute hier die sozialen. Oder haben Sie schon mal von Forderungen gehört, türkischstämmige Reiseunternehmer aus Deutschland zu entfernen?
Nur scheinbar anders verlief das Einreiseverfahren in die arabischen Staaten am Persischen Golf. Da wurde nicht nach ethnischer Herkunft gefragt, sondern nach Religionszugehörigkeit. Ich überlegte nur kurz, ob ich die Tatsache, daß ich keiner religiösen Gemeinschaft zugehöre, zu einem Problem für die Immigrationsbeamten machen solle und entschied mich für die Antwort »Christlich«, in der wohl richtigen Annahme, das sei eigentlich dasselbe, wie »Kaukasisch« für die Filipinos. Und im übrigen war ich mir schließlich bewußt – Kirchensteuerzahler hin oder her – Produkt einer weithin christlich geprägten europäischen Entwicklung zu sein, zumal der Religion verinnerlicht habenden protestantischen Spielart. Selbst unsere Bemühungen um eine sozialistische Gesellschaft konnten ihre Herkunft aus dieser Weltsicht nie verleugnen.
Und da man überall seine eigene Identität in hohem Maße aus der Abgrenzung zum jeweils anderen bestimmt, mußte ich Christ sein, damit die Leute da Muslime sein konnten. Im Laufe der Jahre lernte ich zu verstehen, daß wahrscheinlich eine Mehrheit von ihnen in vergleichbarer Weise Muslime waren wie ich Christ, also der Herkunft nach und nach der Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft. Mein Privileg war lediglich, daß ich mich im säkularen Deutschland auch öffentlich von den religionverwaltenden Institutionen distanzieren durfte. Mit ihnen, den »Kultur-Muslimen«, die durchaus in ihren tradierten gesellschaftlichen Formen lebten, hatte ich keine Verständigungsprobleme. Manche gingen zur Moschee, viele nicht. Manche Kopftuchträgerinnen sagten mir, der Schleier sei in ihrem Klima schon sehr zweckmäßig, und da sagte ich ihnen, daß noch meine Mutter sich nackt vorgekommen wäre, wäre sie ohne Hut oder Kopftuch auf die Straße gegangen. Einer vermutete, daß ich doch sicher kein Schweinefleisch esse, da das ja bekanntlich stinke. Ich mußte ihm mitteilen, daß viele Deutsche überzeugt seien, das von den Arabern so geliebte Hammelfleisch stinke.
Das Einhalten der Fastenzeit begründeten viele mit gesundheitlichen Überlegungen. Und den Satz des Korans über die Unzulässigkeit des Alkoholgenusses übersetzte jeder gemäß seiner eigenen Praxis, enger oder weiter. Oder auch sehr weit. Verständigungsprobleme gab es mit anderen. Ein ansonsten sehr freundlicher, gebildeter Nachbar, der sich bei meiner Frau dafür entschuldigte, daß er ihr wegen gewisser religiöser Regeln nicht die Hand reichen dürfe, beendete alle Gespräche mit dem bekannten Satz: »Islam ist die Lösung.« In der Zeitung war die Rede von Drogensüchtigen? Regierungsangestellte haben Unterschlagungen begangen? In den Behörden herrsche Vetternwirtschaft? Terroristen haben Menschen getötet? »Islam ist die Lösung!« Diese Antwort heißt: Erst und nur der Sieg des Islams weltweit und der Zusammenschluß der ganzen Menschheit in einer islamischen Gemeinschaft lösen die Probleme dieser Welt. Natürlich ist solche fundamentalistische Heilslehre das Ende jeglichen Gesprächs.
Das trifft auf die muslimischen Fundamentalisten zu wie auf die Gestalter eines tausendjährigen Reiches oder die christlichen Fundamentalisten der mittelalterlichen Kreuzzüge oder der heutigen amerikanischen Evangelikalen und wiedergeborenen Christen.
All dies im Sinne habend, wird mir speiübel bei den verlogenen heutigen deutschen Debatten um Vaterlandsliebe und Leitkultur. Wir brauchen keinen besonderen Umgang mit dem Islam und keine Kopftuchverketzerung. Wir brauchen die Normalität der Akzeptanz des Fremden. Wir brauchen die Lösung des sozialen Problems der Ghettoisierung. Und wir brauchen die Zurückweisung des Fundamentalismus, und zwar zuerst des mit unserer Kultur verbundenen christlichen.
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