von Wolfgang Sabath
Ich bin mir nicht sicher, ob Günter Gaus noch selber den Buchtitel seiner Erinnerungen eines linken Konservativen zu verantworten hatte oder ob der dem Verlag beziehungsweise den, letzte Redigierungen vornehmenden, Hinterbliebenen geschuldet ist; so bleibt denn nur zu hoffen, daß sich potentielle Leser nicht von jenem unattraktiven wie ziemlich nichtssagenden Titel Widersprüche von der Lektüre des Buches abhalten lassen und der Name Günter Gaus für sich steht (und wirbt). Indes: Eine gewisse Freude an – gespieltem? – Understatement war dem Autor nie ganz fremd gewesen, was ja auch heißen könnte: Der Titel des Buches ist doch von ihm …
Günter Gaus war ein Journalist der leiseren Töne, Feldgeschrei war sein Ding nie. Auch diese Charaktereigenschaft mag ihn für eine auch ihm sehr wichtig gewesene Etappe seines Berufslebens prädestiniert haben – Diplomat in Ostberlin, der einstigen Hauptstadt der DDR. Was ja nicht behauptet, daß Gaus nicht gewisser Hartnäckigkeit fähig gewesen wäre, zum Beispiel in seiner Fernsehinterview-Reihe Zur Person. Doch die kam immer mit einer gewissen Eleganz einher, in vornehmem Tuch sozusagen. Was dazu führte, daß sich auch jene Studiogäste, die sich von ihm »schlecht behandelt« gefühlt haben mochten oder der Ansicht waren, Gaus stelle die falschen Fragen, entsprechend verhielten und ihrerseits, wollten sie nicht ihr Gesicht verlieren, immer Gelassenheit zu demonstrieren oder vorzutäuschen hatten. Auch wenn es ihnen schwerfiel und sie sich – eigentlich – grün und blau ärgerten. In dieser Hinsicht ist mir nicht zuletzt der Werbeträger, Millionärspotsdamer und Schwiegersohn Günther Jauch erinnerlich geblieben, der (in der Sendung am 12. Juni 2002) partout darauf bestanden hatte, er sei Journalist. Gaus mußte gar nicht sagen, was er davon hielt.
Hier müssen nicht im einzelnen die Stationen des Günter Gaus aufgelistet werden (die meisten dürften Politinteressierten hinlänglich bekannt sein), aber eine Was-wäre-wenn-Frage möchte ich dennoch stellen (wiewohl Fragen solcher Art in der Regel sehr müßig sind, sei’s drum). In Günter Gaus’ Buch gibt es das Kapitel IX, es heißt Herbert Wehner. Und Gaus war, was sonst!, von diesem Manne beeindruckt. Er beschreibt den Beginn einer Freundschaft und muß auch deren Verdorren konstatieren. So weit, so gut (oder schlecht …). Etliche Monate nach dem Erscheinen der Gausschen Erinnerungen wurde die traurige/oder schäbige/oder feige/oder gemeine Rolle Herbert Wehners in seiner Moskauer Zeit in einem Buch ausführlicher als bisher belegt; es versteht sich, daß der Spiegel vorabdruckte. Im Lichte dieser neuen Dokumente aus Moskauer Archiven las ich das Kapitel Herbert Wehner nicht ohne Beklemmung. Wie gern hätte ich nun gewußt, wie Günter Gaus wohl reagiert hätte und ob seine schon geradezu sprichwörtlich gewordene »Theorie« vom »alten Adam«, der sich nicht ändere, zur Erklärung dieses Vorgangs ausgereicht hätte. Wäre, wenn, hätte – müßig, müßig.
Am 23. August 2003 erschien in der Süddeutschen Zeitung von Günter Gaus der Artikel Warum ich kein Demokrat mehr bin (der Freitag druckte ihn später – geringfügig gekürzt – nach). Und nichts konnte beredter sein als das Schweigen der Gesamtdeutschen Großfeuilletonisten über dieses politische Credo (das zum Vermächtnis werden sollte) eines einst der SPD angehörenden prominenten Journalisten und Politikers. Gaus war nicht mehr »in«. Kaum noch zitiert, kaum noch zu Talkshows oder Politrunden eingeladen – zwischen allen Stühlen sitzend. Nur seine Familie wird wissen, wie er damit umzugehen verstand. Aber möglicherweise hatten sich in seinen letzten, schon von Krankheit – Genesung – erneuter Erkrankung bestimmten Lebensjahren die Gewichte von wichtig/unwichtig ohnehin verlagert. Dennoch finde ich es außerordentlich bedauerlich, daß Frau und Tochter zwar den Abituraufsatz von 1949 in den Anhang aufnahmen, sich aber nicht – aus welchen Gründen auch immer – dazu aufrafften, dem Essay Warum ich kein Demokrat mehr bin die gleiche Wertschätzung zu erweisen. Darin heißt es unter anderem:
»Ich bin vor allem deswegen kein Demokrat mehr, weil aus dem gesellschaftlichen Zusammenwirken von Wählern und Gewählten mehr und mehr eine Schauveranstaltung geworden ist. Stars, aus dem Fernsehen bekannt und ausgewählt nach dem Gelingen ihrer Auftritte, buhlen von Zeit zu Zeit um die Gunst des Publikums, das einst seinem Anspruch nach der demokratische Souverän gewesen ist. Unter Wahrung der demokratischen Formen ist der Inhalt dieses politischen Systems gegen wechselnde Events ausgetauscht worden. In meinem befreundeten Umfeld verstehen nicht alle, warum die Inbesitznahme der Demokratie durch das Fernsehen mich zum distanzierten Beobachter des politischen Treibens hat werden lassen. Was soll schon dabei sein, wenn das Fernsehen die Politik auflockert? Es gibt schlechtere TV-Shows als Sabine Christiansens Beinüberschlag und ihr Talent, den sachlichen Faden, wenn sie ihn einmal in die Hand bekommen hat, an der falschen Stelle abzureißen. Darf die Demokratie denn nicht lustig sein und Spaß machen? Ganz im Gegenteil: Sie muß es unbedingt. Dies liegt im Interesse der Manipulateure des Souveräns. Über Wilhelm II. hieß es: ›Majestät braucht Sonne‹, mit welcher Begründung dem Kaiser gewisse Kenntnisse von politischen Fehlentwicklungen vorenthalten wurden. Heute soll das souveräne Wahlvolk unterhalten werden; geübte Wahlkampfanimateure haben daraus die Lehre gezogen: Zerstreut es. Das Funktionieren einer Demokratie aber gründet sich auf die Bereitschaft des Souveräns, sich gelegentlich beim Gewinnen von Einsichten in das politische Tun und Lassen und dessen Konsequenzen anzustrengen. Schneller als gedacht wird die Verflachung der Politik in den Massenmedien ein bißchen amüsieren, schließlich langweilen und abstumpfen – und in jedem Falle das gleiche und allgemeine Wahlrecht aushöhlen. Ich bin kein Demokrat mehr. Wie einst das Drei-Klassen-Wahlrecht bestimmte Interessen begünstigte, so wird die Wahlausübung des bei Laune gehaltenen Fernsehpublikums interessengesteuert sein von gesellschaftlichen Gruppen, die selber wenig fernsehen.«
Günter Gaus: Widersprüche – Erinnerungen eines linken Konservativen, Propyläen-Verlag Berlin 2004, 379 Seiten, 25,00 Euro.
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