von Gerd Kaiser, z. Z. Warschau
Die amtierende polnische Regierung hat im Budget des nächsten Jahres dreihundert Millionen Złoty für die Schulspeisung vorgesehen. Das ist mehr als das Doppelte im Vergleich zu diesem Jahr. Und es ist notwendig, weil zwei Millionen Kinder in Polen von Hunger bedroht sind. Der Teller Suppe, den diese Kinder in der Schule unentgeltlich erhalten, ist oftmals die einzige warme Mahlzeit, die sie im Laufe eines Tages zusichnehmen können. Besonders betroffen sind kinderreiche Familien; dabei handelt es sich besonders häufig um Familien in den Wojewodschaften Westpommern, Pommern, Großpolen, Łódź , Oppeln, Schlesien, Masuren, Kleinpolen und im Karpatenland.
Nahezu die Hälfte der Kinder in diesen Gebieten (vierzig Prozent) sind von Hunger bedroht, mindestens fünfzehn und bis zu dreißig Prozent nehmen bereits an der Schulspeisung teil. Unter dem Existenzminimum lebt nahezu die Hälfte aller Familien mit vier und mehr Kindern (und deren Zahl ist in einem vom katholischen Klerus stark beeinflußten Land besonders groß); achtzehn Prozent der Familien mit drei Kindern und auch noch dreizehn Prozent der Familien mit einem Kind befinden sich in der gleichen Situation.
Während es 1996 etwas mehr als fünfhunderttausend Schüler waren, die der Schulspeisung bedurften, waren es 2002 bereits eine Million Schüler, und ihre Zahl nimmt seitdem weiter zu. Zahlreiche Lehrer berichteten bei wissenschaftlichen Untersuchungen darüber, daß nicht wenige Kinder ohne Pausenbrot zur Schule kommen. Frau Professor Barbara Woynarowska stellte fest, daß jedes dritte polnische Kind zur Schule kommt, ohne gefrühstückt zu haben. Außerdem ermittelte sie, daß nicht wenige der Schüler, die an der Schulspeisung teilnehmen, mehr oder weniger verstohlen einen Teil des für sie bereiteten Essens mit nach Hause nehmen, damit sie mit ihren Geschwistern teilen können. Im kommenden Jahr werden deshalb in Polen nicht nur Schüler, sondern auch deren jüngere, noch nicht schulpflichtige Geschwister zur Schulspeisung eingeladen.
Besonders die Polnische Humanitäre Aktion (PAH) kümmert sich um die Schulspeisung, sammelt – wie auch die katholische Caritas – Geld dafür, da die staatlichen Mittel nicht ausreichen. Bisher hungert keines der Kinder in Polen so, wie Kinder in Afrika hungern, aber daß eine große Kinderschar ständig hungrig ist, ist nicht zu übersehen. Diese Kinder sind blaß, abgemagert, zeigen Konzentrations- und Lernschwächen.
Das Problem in Polen, darin sind sich die an der humanitären Aktion Beteiligten einig, wird durch die Schulspeisung nicht gelöst. Dort wird Not zwar gelindert, aber nicht beseitigt. Beseitigt werden könnte sie erst, wenn die Familien die Möglichkeit hätten, mit ihrer Hände (oder ihres Kopfes) Arbeit, das Notwendige zum Familienunterhalt zu verdienen. Und diese Möglichkeit wird sich – so die Meinung der Wissenschaftler und Sozialarbeiter – eher verschlechtern.
Nach statistischen Angaben in einem gemeinsamen Bericht der Polnischen Humanitären Aktion und Danone, der in diesem Jahr in Torun veröffentlicht wurde.
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