von Jochen Mattern
Skandalumwittert waren Die Weber von Gerhart Hauptmann schon, bevor das Stück 1894 auf die Bühne kam. Eine Aufführung untersagte der damalige Polizeipräsident Berlins mit der Begründung, daß »das Drama nicht etwa nur die Hartherzigkeit einzelner Besitzer und ihrer Werkzeuge« schildere, vielmehr seien »alle im Rahmen des Stückes auftretenden Besitzenden als die brutalen Ausbeuter der Arbeiterschaft hingestellt, und es ist … die ganze Staats- und Gesellschaftsordnung der Zeit … als des Bestehens unwert geschildert«. Die bewaffnete Erhebung der unterdrückten Arbeiterschaft, so der Polizeipräsident weiter, erscheine »als die unabweisbare Folge der sozialen Mißstände«. Wegen der zu erwartenden »aufreizenden Wirkung« gehöre das Drama nicht auf die Bühne. Seine Premiere erlebte das Stück am 25. September 1894 am Deutschen Theater in Berlin erst nach einem jahrelangen Streit vor Gericht. Die befürchtete »aufreizende Wirkung« einer Inszenierung der Weber blieb jedoch aus. Sie sei von Hauptmann auch gar nicht beabsichtigt gewesen, waren sich die Kritiker damals einig. »Nicht eine Spur von eigentlicher Tendenzpoesie« enthalte das Stück. Dennoch fühlte sich Kaiser Wilhelm II. derart brüskiert, daß er seine Hofloge im Deutschen Theater kündigte. Dadurch entgingen dem Theater jährliche Einnahmen in Höhe von viertausend Mark.
Wie die Zeiten sich doch ähneln. Abermals sorgt eine Neuinszenierung der Weber für Unmut. Nach der Premierenaufführung am 30. Oktober im Dresdner Schauspielhaus schlagen die Wogen der Empörung hoch. Die Bild-Zeitung spricht vom größten Skandal des Jahres und fragt, ob das noch Kunst sei. »Dumme Sau!« werde Sachsens Ministerpräsident beschimpft und der Bundeskanzler als Verräterschwein. Das erfüllt den Tatbestand der Majestätsbeleidigung.
Regisseur Volker Lösch wehrt sich gegen die Vorwürfe. Seine Inszenierung ziehe die dramaturgische Konsequenz aus dem Umstand, daß Hauptmanns Stück keine einzelne Heldenfigur aufweist. »Die handelnden Personen zusammengenommen machen den Helden des Stückes aus«, war schon den Kritikern der deutschen Erstaufführung 1894 aufgefallen. Lösch gruppiert folglich die Einzelfiguren zu einem Chor, bestehend aus 33 Laiendarstellern. Dieser verkörpert nun aber nicht nur das notleidende Webervolk, sondern auch die Arbeitslosen von heute. Abwechselnd spricht der Chor den originalen Text und einen aktuellen Text, der die Erfahrungen der Laiendarsteller bei der Suche nach Arbeit und im Umgang mit den Behörden schildert. Artikuliert werden die Erfahrungen der Erniedrigten und Beleidigten von damals und heute. In einer der Textpassagen, die sich auf die heutigen Verhältnisse beziehen, fallen die Worte, über die sich die Bild-Zeitung so sehr aufregt. Zwar fordert sie wegen der offensichtlichen Majestätsbeleidigung nicht zum Verbot der Aufführung auf, doch droht sie dem Theater unverhohlen mit der Finanzkeule. Vierzehn Millionen Euro kassiere das »Skandal-Theater« vom Freistaat, und zum Dank dafür werde der Landesvater derartig beschimpft.
Gewiß, das ist nicht die feine englische Art, mit der da zu Werke gegangen wird. Aber, so ließe sich erwidern, die herrschenden Politiker sind auch nicht gerade zimperlich bei der Durchsetzung ihrer unsozialen Politik. Erinnert sei nur an die Rede von den Rattenfängern, von denen die Demonstranten gegen Hartz IV verführt worden seien. Das heißt doch im Klartext, daß es sich bei denen um Ungeziefer gehandelt habe. Verweisen ließe sich auch darauf, daß die Empörung »die unabweisbare Folge der sozialen Mißstände« ist. Doch soviel analytische Schärfe, wie sie der eingangs zitierte Berliner Polizeipräsident an den Tag legte, kann von der Boulevardpresse nicht erwartet werden. Sie kapriziert sich lieber auf Anstand und Moral. Damit tut sie es der Figur des alten Hilse gleich, dem großen Dulder und Mahner in Hauptmanns Drama. Der verurteilt den Aufruhr und warnt vor den Folgen, die den Webern daraus entstünden. Sie sollten ihr elendes Los lieber geduldig ertragen, so wie er. Andernfalls zerstörten sie ihre Aussicht auf ein besseres Dasein im Himmel.
Sachsens Landesvater, die Hauptfigur des Skandals, hält sich derweil klugerweise zurück. Georg Milbradt ist nicht gerade als ein eifriger Theaterbesucher bekannt. Auch verfügt er nicht wie der Deutsche Kaiser über eine Hofloge, durch deren Kündigung er dem Theater finanziellen Schaden zufügen könnte. Dafür bestimmt er über die Finanztöpfe. Die Haushaltsverhandlungen stehen unmittelbar bevor. Um einem möglichen finanziellen Schaden für sein Theater vorzubeugen, hat der Intendant des Hauses einen Brief an den Ministerpräsidenten gerichtet. Darin bietet er seinem Landesvater an, gemeinsam über eventuelle Änderungen der Inszenierung nachzudenken. Was beweist: Die Kunst ist frei, doch geht sie nach Brot.
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