Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 8. November 2004, Heft 23

Kritikerkritik

von Horst Grunert

Gewiß kann man manchen kritischen Einwand gegen den Film Der Untergang vorbringen. Aber warum ist es nötig, mit den gröbsten Keulen dreinzuschlagen (Jens Knorr im Blättchen 22/2004)? Soweit ich es überblicke, hat bisher niemand bestritten, daß es sich um einen antifaschistischen Film handelt. Niemand kann behaupten oder hat behauptet, daß der Film die Untaten des Hitler-Regimes leugnet, verkleinert oder gar entschuldigt. Seine Schöpfer sind bemüht, zur Entlarvung des menschenfeindlichen Charakters der Nazi-Ideologie und -Politik beizutragen. Sollten wir uns deshalb nicht zunächst einmal freuen? Und sollte uns das nicht Veranlassung sein, ohne Gehässigkeit mit dem Werk umzugehen?
Den Autoren des Films wird vorgeworfen, sie hätten nicht alle Seiten des mörderischen Systems genügend aufgedeckt. Wo bleibt die Anklage gegen die Machenschaften der Großbourgeoisie und der Junker, fragen vor allem diejenigen, die dank gründlicher marxistischer Schulung von sich glauben, in erster Linie zur Beurteilung dieser Schreckensjahre der deutschen Geschichte berufen zu sein. Sind die Verbrechen der Generale, die millionenfachen Mord auf den europäischen Kriegsschauplätzen zu verantworten haben, deutlich aufgedeckt? Verschleiern die Szenen, die den »menschlichen« Umgang mit dem Schäferhund, mit der Sekretärin und dem kleinen Pimpf zeigen, nicht die Grausamkeit der führenden Nazis?
Mein Gott, der Einwand, ein Thema nicht umfassend genug behandelt zu haben, ist so alt wie die Versuche, Ereignisse im Film wiederzugeben. Ich habe auch Zweifel, ob die Verwendung solcher Begriffe wie Kriegsschinken, Requisitenschlacht gerechtfertigt ist. Manche Kritiker nennen die Kriegsszenen das reine Hollywood. Da kann ich nur sagen: Hollywood hat viel Mist produziert; aber auch einige Spitzenwerke der Filmkunst. Und daß ein Film so gemacht wurde, daß die Leute auch ins Kino gehen, muß nicht unbedingt gegen ihn sprechen. Besonders grotesk erscheint es mir, den Schauspielern anzukreiden, daß sie gut sind.
Viele der Kritiker machen vor allem eines deutlich: wie sie es gemacht hätten, wenn sie es gemacht hätten. Nur: Sie haben es nicht gemacht! Ich weiß, so etwas darf man einem Kritiker nicht vorwerfen. Deshalb ist das kein Vorwurf, nur eine Feststellung.