Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 22. November 2004, Heft 24

Fakten

von Thomas Kuczynski

Wer über eine nahezu lückenlose Aufzählung all der in der Planwirtschaft von SBZ und DDR über vierzig Jahre hinweg begangenen Fehler und Fehlleistungen verfügen will, wird das Buch von André Steiner mit Gewinn lesen. Gleich auf der ersten Seite stellt der Verfasser fest, »daß die ökonomischen Resultate der DDR vor allem ihrem Wirtschaftssystem geschuldet« gewesen seien, und: »Das entscheidende Negativ-Moment war das planwirtschaftliche System.« Warum das so gewesen ist, zu dieser Frage findet sich nirgendwo eine nähere Analyse. Insofern liest sich das Buch über weite Strecken als zweckmäßige Belegsammlung für das eingangs ausgesprochene Urteil.
Der Verfasser wird nicht müde, immer wieder festzustellen, daß für das Gros der Ostdeutschen die Alt-BRD als »Referenzmodell« fungierte, und das ist sicher richtig (wer es bezweifelt, möge endlich die Ergebnisse der Volkskammerwahlen vom 18. März 1990 zur Kenntnis nehmen). Daß er an keiner Stelle über dieses Alltagsbewußtsein reflektiert, sich anscheinend mit ihm identifiziert, paßt zu jener Faktologie, die zwar auch ihre ideologischen Voraussetzungen hat, sie aber als solche außen vor läßt.
Überhaupt entspricht das Buch voll und ganz den Anforderungen, die hierzulande in den Universitäten an die Lehre und Forschung über die Geschichte der DDR gestellt werden, gehört also dem mainstream an. Keines der gängigen Klischees wird ausgelassen. Etwa, wenn der Verfasser über die ökonomischen Wirkungen der in der DDR (wohl im Vergleich mit dem Referenzmodell) so exzessiven Aufrüstung schreibt: Da kann doch nur an das in der DDR-Bevölkerung kursierende (aus Österreich übernommene) Wort erinnert werden, die Aufgabe der NVA sei es, den Feind aufzuhalten, bis die Soldaten kommen.
Angesichts des Referenzmodells Marktwirtschaft, in der der Markt alles richtet, insbesondere das Gesetz von Angebot und Nachfrage, kommt dem Rezensenten die häßliche Frage von Marx in den Sinn, was denn die Preisbewegung determiniere, wenn sich Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht befinden, das Gesetz von Angebot und Nachfrage also nicht zur Bestimmung der Preise herangezogen werden kann.
Die Liste von Einwänden dieser Art ließe sich fortsetzen, aber sie dürften dem Verfasser, einem in der DDR promovierten und in der Neu-BRD habilitierten Wirtschaftshistoriker, dereinst in der einen oder andern Weise alle selbst bekannt gewesen sein. Überdies gingen sie an der Intention des Buches vorbei, die der Verlag auf der Rückseite des Buchumschlags gut zusammengefaßt hat: »Die Geschichte der DDR, das ist die Geschichte ihrer Wirtschaft, ihrer hochfliegenden Pläne und Visionen. Das ist aber auch die Geschichte des Schlangestehens vor den HO-Geschäften, der Mangelwirtschaft, des Milliardenkredits, schließlich des Zusammenbruchs. Hier wird sie zum ersten Mal knapp und verständlich erzählt.« Genauso ist es.

André Steiner: Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR. Deutsche Verlags-Anstalt München 2004, 275 Seiten, 19,90 Euro.