Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 22. November 2004, Heft 24

Clan-Kampf um Machterhalt

von Kathrin Singer, Kiew

Mag sein, daß ihre Namen noch weithin unbekannt sind, aber Fakt ist: Rinat Achmetow und Viktor Pintschuk, beide in der Ukraine zu Hause, gehören zu den reichsten Europäern. Das Vermögen des 38jährigen Achmetow wurde vom britischen Wirtschaftsmagazin Eurobusiness im vergangenen Jahr auf 1,7 Milliarden Dollar geschätzt, das von Pintschuk auf 1,3 Milliarden. In der Liste der reichsten Persönlichkeiten Mittel-und Osteuropas, die die polnische Wochenzeitung Wprost dieser Tage unter die Leute brachte, wird Achmetow bereits mit 3,5 Milliarden Dollar gehandelt und Pintschuk mit 2,5 Milliarden. Und sie sind nicht die einzigen Milliardäre im Land. In den illustren Kreis gehören neben anderen auch der Leiter der Präsidentenkanzlei, Viktor Medwetschuk, und sein Freund und Chef des Kiewer Fußballclubs Dynamo, Gregori Surkis. Sie alle verdanken ihren enormen Reichtum ihrem privilegierten Zugang zum Staatseigentum – und diesen wiederum der Unterstützung ihrer Geschäftsfreunde aus der Politik und der Förderung durch ein Parlament, in dem die von ihnen gebildeten Parteien vertreten sind. Die bevorstehenden Stichwahlen am 21. November und das Ende der Ära Kutschma könnten für sie nachhaltige Auswirkungen haben. Kein Wunder deshalb, daß der Wahlkampf mit großer Härte geführt wird.
Zu diesen Mitteln gehörte in den neunziger Jahren auch der Auftragsmord. Inzwischen nehmen die Verteilungskämpfe zivilisiertere Formen an, aber man ist dennoch daran interessiert, das so raffiniert eingefädelte Geflecht von Politik, parlamentarischer Vertretung, Wirtschaft, Medienkontrolle und Familienherrschaft beizubehalten. Achmetow, Besitzer von neunzig Prozent Anteilen an der Holding System Capital Management, zu der Metallurgiefirmen, Hotels, Banken und auch der Fußballclub Schachtjor Donezk gehören, hat engste Beziehungen zum jetzigen Premier und Präsidentschaftskandidaten Viktor Janukowitsch. Seitdem der ehemalige Gouverneur von Donezk Ministerpräsident des Landes ist, hat der Donezker Clan die politische Vorherrschaft in der Legislative. Gute Freunde in der Region sind mit einflußreichen Posten belohnt worden. So gehören der neue Generalstaatsanwalt und der Finanzminister zum Clan. Die Liste der Bevorzugung der Donezker durch die Wirtschaftspolitik ist lang. Und könnte noch länger werden, wenn der künftige Präsident aus Donezk käme, denn in dessen Hand ist sehr viel Macht konzentriert: Er beruft den Ministerpräsidenten, die Minister, er setzt die Gouverneure ein, ist Oberbefehlshaber der Armee.
Eng mit der Macht ist auch Pintschuk verbunden, der Exponent des Dnepropetrowsker Clans, aus dem auch der jetzige Präsident des Landes hervorgegangen ist. Pintschuk hat vor kurzem Kutschmas Tochter Elena geheiratet. Eine glückliche Verbindung. So konnte er in diesem Sommer für 800 Millionen Dollar das gewinnbringende Unternehmen Kriworosch-Stahl erwerben. Angebote ausländischer Mitwettbewerber in Höhe von 1,65 Milliarden Dollar und Investitionen zur Modernisierung des Werkes von 1,2 Milliarden Dollar wurden abgeschlagen. Die Ausschreibung war so formuliert, daß ausländische Interessenten rein rechtlich gar keine Chancen hatten. Den Millionenverlust für die Staatskasse nahm die Familie Kutschma in Kauf.
Für den Fall seines Wahlsieges hat der Führer der oppositionellen Bewegung Unsere Ukraine, Viktor Juschtschenko, angekündigt, diese Privatisierung noch einmal zu untersuchen. Grund genug für Pintschuks Fernsehsender, sich voll auf der Seite des Kandidaten der Regierung zu schlagen und in übler Weise den Kandidaten der Opposition als willigen Lakaien der USA zu diffamieren.
Am meisten aber fürchten jene Oligarchen den Sieg der Opposition, deren Reichtum durch pure Korruption und Ausnutzung der staatlichen Verwaltung erfolgt ist. Surkis und Medwetschuk wollen nur eines: Weiter so schalten und walten wie bisher. Was das Ausland denkt, oder ob das Land durch Unruhen destabilisiert wird, ist dabei nicht von Bedeutung.
Die ukrainische Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren konsolidiert – allerdings in starker Abhängigkeit von ganz speziell zugeschnittenen Gesetzen: von Lizenzen zum Beispiel für den Handel mit strategisch wichtigen Gütern wie Gas, Kohle, Energie. Diese Privilegien können den Oligarchen zu jeder Zeit wieder entzogen werden. Deshalb der erbitterte Kampf gegen die Opposition. Und deshalb sind die Wahlen keine gewöhnlichen Wahlen, sondern ein Meilenstein in der Entwicklung der unabhängigen Ukraine mit weitreichenden Konsequenzen für den zukünftigen Reformprozeß im Land.