von Wladimir Wolynski, z. Z. Minsk
In Belorußland geht es seit einiger Zeit um die Wurst. Im direkten und im übertragenen Sinne. Inco Food, eine Firma der beiden polnischen Besitzer Krzysztof Stepien und Dariusz Szajda, hat im Laufe der vergangenen Jahre in der belorussischen Stadt Brest fünf Millionen Dollar investiert. Das ist, genauer gesagt: das war, die größte Investition von Polen im östlichen Nachbarland. Bis zum 5. August war die Firma ein florierendes mittelständisches Unternehmen, das sich auf den Fleisch-Export aus Polen und die Fleisch-Verarbeitung in Belorußland spezialisiert hatte. Etwa achthundert Leute verdienten in der Grenzstadt durch Inco Food ihren Lebensunterhalt. Der Betrieb zahlte zwar die vorgeschriebenen Steuern, und er hielt auch die anderen Vorschriften für den Import sowie das Betreiben eines Lebensmittelunternehmens ein; aber das nützte nichts.
Am 6. August stand die Firma am Rande eines Bankrotts. Anfang des Monats waren die Inhaber »für etwa zwei Stunden« zum Gericht vorgeladen worden. Ihre Firma habe, so erfuhren sie, einige Zollformalitäten nicht eingehalten und müsse deshalb sechs Millionen Dollar Strafe zahlen (eine Million mehr als die gesamte Investitionssumme …). Außerdem würden das gesamte Fleisch und alle Wurstwaren konfisziert; deren Wert betrug zwei Millionen Dollar.
Jaroslaw Romanczuk, belorussischer Wirtschaftswissenschaftler und Vizepräsident der oppositionellen Vereinigten Bürgerpartei Belorußlands erklärt die Gründe für den Blitz- und Zwangsbankrott folgendermaßen: Am 1. Juli unterzeichnete Präsident Aleksandr Lukashenko einen Erlaß, in dem er verordnete, daß keines seiner Landeskinder mehr als fünf Kilogramm Fleisch oder Wurstwaren pro Grenzpassage einführen dürfe. Da polnische Wurstwaren in Belorußland einen guten Ruf haben, hatte Lukashenkos selbstherrliche Entscheidung zur Folge, daß die Landeskinder nunmehr in verstärktem Maße bei jener polnischen Firma einkauften, die in ihrem Lande agierte. Im Laufe des Monats Juli wurde sie vom ungeliebten zum verhaßten Konkurrenten derjenigen belorussischen Unternehmungen, deren Besitzer der Staatsmacht nahestehen und sie oftmals auch repräsentieren. Deshalb war nach wenigen Tagen Schluß mit lustig und Inco Food aus einem rentablen Unternehmen zu einer Fußnote nachbarschaftlicher Zusammenarbeit geworden.
Und nicht nur Inco Food. 1997 wurde über Nacht aus der polnischen Süßwarenfabrik Terravita ein belorussisches Unternehmen. Die Firma produziert sogar unter dem polnischen Markennamen. Geschröpft werden in Belorußland auch deutsche, russische und ukrainische Firmen. Deutsche Speditionen, ist hier zu hören, nähmen inzwischen lieber Umwege in Kauf und fahren über die baltischen Staaten nach Rußland oder wählen die Südroute über die Ukraine.
Russischen Firmen wurde der importierte Zucker konfisziert; doch noch lieber werden Spirituosen, elektronische Geräte und Fahrzeuge beschlagnahmt. Die massenhafte Aneignung fremden Eigentums durch den belorussischen Staat hat dazu geführt, daß ein eigener Markt entstand, auf dem jährlich Waren im Werte von etwa 250 Millionen Dollar umgesetzt werden. Das Prinzip ist durchsichtig wie einträglich. Die beschlagnahmenden staatlichen Behörden verkaufen die eingezogenen Güter an Besitzer von Unternehmungen, die dem Staat verbunden sind, und diese verkaufen die für ein Spottgeld erworbenen Waren entweder im Land oder an ukrainische oder an russische Unternehmungen. Wo immer nachgefaßt wird, ergibt sich, daß die »für naß« erworbenen Waren mit erklecklichen Gewinnspannen weiterverkauft werden. Die Beteiligten verdienen sich dumm und dämlich.
Der oppositionelle Politiker Aleksandr Fiedut vergleicht sein Land mit einem Gewässer, in dem es von Piranhas wimmelt: Zollbehörden, Steuerbehörden, Miliz, Beamte unterschiedlichster Behörden und Entscheidungsbefugnisse (allein neunzehn verschiedene Kontrollbehörden für Importe!) greifen zu, wo immer sich ein Loch im Budget auftut und wo ohne eigene Leistung zugegriffen und die eigene Tasche gefüllt werden kann. Es geht dabei um die Wurst – aber lange nicht nur um die Wurst.
PS: Landesvater Lukashenko wirft derzeit mit der Wurst nach der Speckseite: Denn durch eine Veränderung des Grundgesetzes soll (und wird ihm) eine dritte Amtsperiode ermöglicht werden.
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