von Hermann-Peter Eberlein
Auf einmal ist sein Name in aller Munde: durch Martin Walsers neuesten Roman, in dem die gemeinsame Vorliebe für den französischen Aufklärer das Vehikel der Liebesbeziehung zwischen einem alternden Privatgelehrten (der einst einige Aufsätze zum Thema verfaßt hat) und einer jungen Studentin abgibt.
Wer dadurch auf den Geschmack gekommen sein sollte, kann sein Interesse an La Mettrie durch einen zeitgleich zu Walsers Roman erschienenen Aufsatzband stillen, der vorzüglich drei Aspekte zu Leben, Gedankenwelt und Wirkung des atheistischen Philosophen und Arztes behandelt. Da ist als erstes das allbekannte Stichwort »l’homme machine« zu nennen, durch das La Mettrie (1709-1751) als der eigentliche Begründer des französischen Materialismus in Erinnerung geblieben ist: seine mechanistische Anthropologie, seine Bestimmung von Seele und Geist (von Günther Mensching in den Kontext gegenwärtiger Diskussionen gestellt), die Frage nach der Ethik. Dann dürfen selbstverständlich die Verhältnisbestimmungen zu den großen Vorgängern (Descartes, Spinoza) und Zeitgenossen (Diderot) nicht fehlen. Charles T. Wolfe weist in seinem Aufsatz Epicuro-Cartesianism: La Mettrie’s Materialist Transformation of Early Modern Philosophy unter anderem noch einmal auf die Beziehung La Mettries zu dem Utrechter Mediziner Henricus Regius (1598-1679) hin, auf die bereits Marx in der Heiligen Familie aufmerksam gemacht hatte.
Ein dritter Schwerpunkt des Bandes liegt bei La Mettries literarischer Meisterschaft und seiner Kunst der Selbstinszenierung – auch im Medium des Bildes. So macht Helmut Börsch-Supan in seinem Aufsatz über Georg Friedrich Schmidts La-Mettrie-Bildnis das Lächeln des Porträtierten zu einem eigenen Thema und stellt es in einen weiten ikonographischen Kontext, der von Antonella da Messina und Leonardo über Rembrandt bis zu Schmidts Freund Quentin de la Tour reicht.
La Mettries Lächeln: Der große König selbst hat einst seinem Vorleser, médecin ordinaire und membre de l’Académie Royale des Sciences et des Belles Lettres de Berlin die Trauereloge geschrieben und hat ihm darin nicht allein Geist und Phantasie, sondern auch ein »unerschöpfliches Reservoir an Heiterkeit« zuerkannt und ihn einen »Philosophen mit Seele und Herz« genannt. La Mettries Fähigkeit zur Ironisierung der mechanistischen Wissenschaft, deren theoretisches Fundament er doch gerade zu festigen unternahm, interpretiert der Herausgeber als »Teil der Suche nach einer neuen Einheit, die sich … in einer Art Komplementarität von Wissen und Ästhetik auftut«. Indem sie Facetten dieser Suche nachgeht, korrigiert die aus Vorträgen anläßlich eines Kolloquiums in Potsdam zum 250. Todestages des Philosophen entstandene Publikation das allzu einseitige Bild eines platten Materialisten und eröffnet Perspektiven zu einer neuen Lektüre des Autors – was will man von einem Aufsatzband mehr?
Hartmut Hecht (Hg.): Julien Offray de La Mettrie. Ansichten und Einsichten, Berliner Wissenschafts-Verlag 2004, 208 Seiten, 32,00 Euro.
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