Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 27. September 2004, Heft 20

Elitenbildung

von chaze

Auf den ersten Blick erscheint das Buch Elite sein von Stephan Peters als eine jener unzähligen Dissertationen, deren Thema nur einen ausgewählten Kreis von Fachleuten interessiert. Doch studentische Korporationen, die etwas vereinfacht als Burschenschaften bekannt sind, sollten öfter aus kritischem Interesse heraus betrachtet werden. Und genau deshalb ist dieser Arbeit auch eine weitere Verbreitung zu wünschen.
Bekannt dürfte noch sein, daß solche Korporationen die Gesellschaft des deutschen Kaiserreiches und letztlich auch der Weimarer Republik maßgeblich prägten und beeinflußten. Als einer der renommiertesten Forscher hat das Norbert Elias in seinen Studien über die Deutschen unter dem Titel Die satisfaktionsfähige Gesellschaft ausführlich beschrieben. Die militärische Erziehung der deutschen Elite in solchen Verbindungen macht er dort hauptverantwortlich für den unheilvollen Untertanengeist und gleichzeitig deren vollkommen kompromißunfähige und vorrangig auf nationalen Ethos ausgerichtete Politik unter allen deutschen Regimes bis 1945.
Während in der Wahrnehmung der Allgemeinheit Korporationen nach 1945 allerdings bestenfalls als kleine Grüppchen vorkommen, die in ihrer Studentenzeit überkommene Ideale pflegen, weist Peters auf die immense Relevanz dieser Vereinigungen hin. Nach der Lektüre ist klar, daß es sich hier immer noch um gesellschaftsprägende Gruppen mit einer immensen Netzwerkfunktion bis in die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Spitzen Deutschlands hinein handelt.
Die Gefährlichkeit dieser Kontinuität aus soziologischer Sicht zu untersuchen, ist das Hauptinteresse von Peters. Dabei ist er kein Einzelkämpfer. Eine kleine Runde von kritisch Forschenden hat sich im Projekt Konservatismus und Wissenschaft vor wenigen Jahren zusammengeschlossen, um Einzeluntersuchungen zu Korporierten zu publizieren. Hier ist Peters ein relativ prominentes Mitglied, was vor allem in seinem Lebenslauf – er war einst selber inkorporiert – begründet liegt.
Aber zurück zum Buch. Man darf hier weder eine gnadenlose Polemik gegen seine ehemaligen Bundesbrüder noch eine allgemeine Einführung in das Thema erwarten. Peters bietet eine politologische Untersuchung zu Fragen der Persönlichkeitsbildung, zum Gesellschaftsbild und zum Aufbau von Korporationen anhand des Corps des Kösener Senioren Convents Verbandes und des Weinheimer Senioren Convents, die sich im Verbund als die elitärsten Dachverbände von Korporationen verstehen.
Ansonsten arbeitet sich Peters faktenreich und intensiv an der Frage ab, durch welche Rituale und welchen Kodex Studierende zur künftigen Elite gemacht werden, weist das anti-egalitäre Weltbild, dem Korporationen frönen, detailliert nach und behandelt ausführlich die Männlichkeitskonstruktionen, die in Korporationen vermittelt werden. Nach fast zweihundert Jahren, so ein Fazit, erziehen studentische Verbindungen immer noch erfolgreich Teile der gesellschaftlichen Elite in einem rechtskonservativen, nationalistischen und antidemokratischen Geist.
Und dank des ihnen allen eigenen Lebensbundprinzips, daß erstens zu einer lebenslangen Mitgliedschaft und zweitens zu einer nahezu uneingeschränkten Solidarität zwischen Korporierten verpflichtet, schaffen gerade so erzogene Männer es immer noch, in Deutschland Spitzenpositionen zu besetzen. Eine der großen Stärken von Peters ist dabei die Historisierung der Korporationen, die bei ihm nicht mehr, wie das ihre eigene Geschichtsschreibung behauptet, als überhistorische Gruppen, sondern als Teil der jeweiligen Gesellschaft verstanden werden.
Am Ende des Buches bleibt ein Erschrecken zurück: Einer der unheilvollsten Teile des deutschen Geschichte scheint nahezu unbeobachtet weiter zu existieren.

Stephan Peters: Elite sein. Wie und für welche Gesellschaft sozialisiert eine studentischen Korporation? Tectum Verlag Marburg, 29,90 Euro.