von Ronald Lötzsch
So – natürlich ohne Fragezeichen – kündigt der stern im Inhaltsverzeichnis der Nummer 34/2004 seinen Beitrag zur »Popanz-Debatte«, wie Chefredakteur Petzold im Editorial formuliert, um die Rechtschreibreform an. Über weite Strecken trifft diese Einschätzung auch zu. Diskutiert wird meist völlig an der Sache vorbei. Der stern selbst geht dabei mit schlechtem Beispiel voran.
Es ist völlig unerfindlich, wie Petzold zu der Behauptung kommt, die »Reform« hätte mehr Logik in die Groß- und Kleinschreibung gebracht. Genau das Gegenteil ist der Fall. Auch Schüler und Lehrer kämen »mit den neuen Schreibweisen bestens zurecht«, wie »die Verbände« bestätigten. Wohl auch kein Kunststück, wenn 98 Prozent der Texte von der »Reform« überhaupt nicht berührt werden. Das wird zumindest unter Berufung auf die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan in einem – in derselben stern-Nummer abgedruckten – dreiseitigen Aufsatz behauptet, der mit dem Untertitel versehen ist: »Die erneute Debatte um die Rechtschreibreform ist ein Sommerloch-Thema. Auch für den stern. Bei uns bleibt – aus gutem Grund – alles beim Neuen« (das letzte Wort übrigens ein Beispiel für die Unlogik der »reformierten« Großschreibung).
Eingestanden wird in dem Artikel, daß auch der stern nach Gutdünken der Redakteure (»dort, wo unseres Erachtens notwendig«) besonders unsinnig erscheinende »Reformierungen« einfach ignoriert. »Sprache ist und war nie logisch«, lautet die völlig deplazierte Begründung. Danach heißt es: »Was für den stern aber kein hinreichender Grund sein kann, eine demokratisch herbeigeführte Entscheidung kurzerhand zu kippen«. Hier wird es geradezu zynisch. Wenn eine staatliche Maßnahme unter Mißachtung der Meinung der Mehrheit der Betroffenen mit List und Tücke durchgedrückt werden soll, dann ist es die im Mai 1995 angeschobene »Rechtschreibreform«, die diesen Namen auf keinen Falle verdient. Kein Wunder also, daß die Kritik nie verstummte.
Charakteristisch war all die Jahre für die meisten Stellungnahmen, daß die Notwendigkeit einer wirklichen Reformierung der deutschen Orthographie überhaupt nicht thematisiert wurde. Es ging fast immer nur um pro oder kontra, um die Hinnahme des »Neuschriebs« oder um die Beibehaltung der absolut antiquierten, noch nie reformierten Schreibweise.
Typisch auch die Nichtunterscheidung der Sprache und ihrer Schreibung. Und das nicht zuletzt bei den für die »Reform« verantwortlichen »Experten« und Politikern. Formulierungen wie die im schon mehrfach zitierten stern-Artikel wiedergegebene der jungen Leipziger Schriftstellerin Juli Zeh (»Laßt endlich die deutsche Sprache in Ruhe! Wenn sie sich verändern will, tut sie es von ganz alleine«) wird man zwar bei ihnen kaum finden. Doch keine geringere als Frau Ahnen, SPD-Kultusministerin von Rheinland-Pfalz und derzeitige Präsidentin der Kultusminister-Konferenz, beweist ebenfalls, daß sie nicht die blasseste Ahnung davon hat, worum es eigentlich geht. Es gälte, wiederholt sie ständig, die Schreibung an die Sprachentwicklung anzupassen, und das werde von der »Reform« geleistet.
Doch gerade das tut sie nicht. Ganz im Gegenteil! Wo die bisher geltende, jedoch keineswegs wie von ihren Verteidigern fälschlich behauptet, in jeder Hinsicht »bewährte«, Orthographie die Schreibung tatsächlich an die Sprachentwicklung anzupassen vermochte, soll dies durch die »Reform« ganz oder wenigstens teilweise zurückgenommen werden. Besonders betroffen von dieser Neuerungssucht sind aus Verbindungen von Partizipien mit Objekten entstandene zusammengesetzte Adjektive. In einem Fall wie krankheitserregend mußten die »Reformer« die bisherige Schreibung gelten lassen, weil das Zusammenwachsen durch die Hinzufügung des sogenannten Fugen-s (krankheit-s-erregend) auch formal gekennzeichnet ist. Das abgesehen von dieser formalen Besonderheit völlig gleichartige krebserregend soll dagegen künftig Krebs erregend geschrieben werden. In Fällen wie diesen ist die vorläufige Rückkehr zur traditionellen Schreibung natürlich sinnvoll.
Für die dringend erforderliche Reformierung der deutschen Rechtschreibung, die diesen Namen wirklich verdient, ist dies allerdings viel zu wenig. Und in dieser Hinsicht gibt es in der diesjährigen »Sommerloch-Debatte« in der Tat einige die stern-Parole »Viel Wind um nichts« relativierende Lichtblicke.
Das augenfälligste Ärgernis unserer traditionellen Orthographie ist die Großschreibung der Substantive, mit der die deutsch Schreibenden weltweite Unikalität besitzen. Durch die »Reform« soll deren Absurdität (Leid tun, hier zu Lande) noch vergrößert werden. Ohne irgendwelche rationalen Begründungen, allein von der opportunistischen Maxime ausgehend, auch die nur »gemäßigte« Kleinschreibung sei nicht »durchsetzbar«, verzichteten die »Reformer« darauf, dieses Problem überhaupt zu thematisieren. Lediglich in einigen in verschiedenen Printmedien veröffentlichten Leserzuschriften wurde gefordert, mit dieser Grundvoraussetzung für eine moderne, der internationalen Norm entsprechende Orthographie endlich ernst zu machen.
Völlig unerwartet druckte nun die tageszeitung ihre Ausgabe vom 12. August vollständig in »gemäßigter« Kleinschreibung. Lediglich am Satzanfang und bei der Wiedergabe des Anlauts von Eigennamen sowie, was meines Wissens noch von niemandem je angefochten wurde, in den Bestandteilen des Layouts, in denen die taz grundsätzlich nur Großbuchstaben verwendet, also im Seitenkopf Zeitungsname, Wochentag und Datum, außerdem zahlreiche Arten von Überschriften. Daß die taz in einer ganzen Reihe von Überschriften ausnahmslos nur Kleinbuchstaben verwendet, ist meines Wissens ebenfalls noch nie bemängelt worden. Die meisten Leser dürften das überhaupt nicht wahrnehmen. Auch mir ist diese Besonderheit erst jetzt bewußt geworden, obwohl ich die taz seit 1990 abonniert habe. Im übrigen drucken auch zahlreiche andere Printmedien bestimmte Textfragmente entweder nur mit Klein- oder Großbuchstaben, ohne daß jemand protestiert. Es sei nur an den hier schon mehrfach zitierten stern verwiesen. Das Gebarme um den drohenden Verlust dieses »Leuchtturms« der deutschen Orthographie, der Großschreibung der Substantive (so der Publizist Wolf Schneider am 8. August bei »Christiansen«) ist also völlig obsolet.
Das Echo auf den Streich der taz, dem diese selbst am 13. August eine ganze Seite widmet, ist, wie es scheint, zumindest teilweise erstaunlich positiv. Das läßt hoffen.
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