Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 30. August 2004, Heft 18

Montags, 18 Uhr, Magdeburg

von Ines Fritz

In Magdeburg gibt es derzeit nur ein Thema: Hartz IV und die Montagsdemos. Die Welt teilt sich sauber, jedenfalls in Magdeburg. Da sind jene, die arbeiten wollen und keine Arbeit bekommen, daneben gibt es jene, die nicht arbeiten wollen und auch keine Arbeit bekommen. Die einen demonstrieren laut, die anderen leiser. Außerdem gibt es noch die Linken und die Rechten. Die einen machen Lärm, die anderen marschieren ordentlich. Auch da sind Wüteriche und Aufpasser – hübsch sortiert.
Nach »oben« und nach »unten« fragt normalerweise keiner, nur manchmal nach unten und tiefer. Tiefer stapeln geht aber nicht, darum legt man die Meßlatte besonders hoch: »Für mehr Arbeit!«
Selten fordert jemand ein menschenwürdiges Leben, noch seltener mehr Geld. Daß wir das nicht verdient haben, egal ob arbeitslos oder nicht, das wissen wir schon. Wir wollen nur »Mehr Arbeit!«. Ist wegen des Gürtels. Da ist noch ein Loch, das paßt schon. Schlank ist in. Wir müssen raus aus dem staatlichen Schuldenberg, weg von der Generationenverantwortung für diese Politik; diese verfluchte Wirtschaftsflaute.
Wir möchten gern die Suppe allein auslöffeln, mit Messer und Gabel, wie es sich gehört. Schuldenfrei und Spaß dabei. Bis dahin demonstrieren aber noch einige, da bin ich mir sicher: »Für mehr Arbeit!« – manchmal für mehr Leben. Daß Hartz IV trotz allem kommt, wissen die meisten, sagen es aber nicht: Das würde weh tun. Es wäre ja dann alles umsonst, und das wäre schade. Vielleicht bleibt aber was übrig, von der Wut auf die »Bonzen« und von all der Erkenntnis, die es montags umsonst gibt. Flugblätter sammeln ist mein neues Hobby.
Was da nicht alles gefordert wird: »Neue Solidarität«, »Mehr Demokratie«, »Weniger Ausländer!«, »Weg mit Schröder!« und »Coffee to go« und all das, was glücklich machen soll. Natürlich auch immer »Mehr Arbeit!« Dann hören die Texte auf, eine Fortsetzung gibt es nicht.
Das mit dem Kaffee hätte mich interessiert. Wohin kann man den mitnehmen und warum? Frauen demonstrieren, Kinder auch, Omas und Opas. Die meisten laufen ohne Kaffee; aber alle schimpfen. Am meisten schimpfen die Männer, die haben das geübt. Viele Männer, kleine, dicke, dünne, arme und reiche, alte und junge, und alle schimpfen: auf diese Regierung, auf Schröder, auf Parteien und Gewerkschaften. Alle rufen irgendwas – rufen vereint. Das ist wenigstens etwas.
Neuerdings rufen auch welche: »Erst die Arbeit, dann Hartz IV« – das verstehe ich nicht. Hartz IV macht nur ohne Arbeit Sinn, ansonsten wäre es überflüssig. Außer natürlich, man glaubt, die wollen wirklich nicht, die Arbeitslosen. Erst durch die absolute Unmöglichkeit, jeden der zukünftigen Leistungsbezieher wirklich von staatlichen Leistungen unabhängig zu machen, bekommen Hartzsche Sanktionen und die repressive Pädagogik den Spareffekt, der erwünscht und errechnet ist. Manchmal versuche ich zu erklären und höre dann »von faulem Pack« in Berlin und anderswo.
Dort wird aber hastig gearbeitet: Auszahldaten und Kindersparbücher sind Heftpflaster für wundgelaufene Wüteriche. Die Wüteriche sind an Verpflasterung aber nicht interessiert. Freigrenzen interessieren hier keinen, auch Auszahldaten nicht. Was interessiert, ist Arbeit, zu fast jedem Preis. Leider. Dafür trennt man dann schon mal die Welt in jene, die Arbeit wollen und keine Arbeit bekommen, und in jene, die keine Arbeit wollen und auch keine bekommen. Vielleicht hilft das ja, wogegen auch immer.
Gegen staatlichen Sozialrassismus demonstriert hier keiner. Noch nicht.