von Kathrin Singer, Kiew
Weil Fernsehstar Michel Friedman darüber ins Rampenlicht geraten war, hatte der Menschenhandel ukrainischer Schlepperbanden im vergangenen Jahr plötzlich eine große Medienöffentlichkeit. Bis dahin war es eher im dunkeln geblieben: das Wirken jener »geschäftstüchtigen« Herren, die es sich angelegen sein lassen, Mädchen aus ihrer Heimat nach Deutschland zu bringen, um sie dort betuchten Freiern zuzuführen.
Ukraine und Menschenhandel – diese beiden Wörter werden in deutschen Medien seither nicht selten in einem Atemzug genannt. Man weiß inzwischen, daß jährlich zigtausende Mädchen im Alter zwischen 18 und 28 aus ihren Heimatorten, in denen die Arbeitslosigkeit bis zu 45 Prozent beträgt, auf der Suche nach einem anständigen Verdienst ausreisen und Menschenhändlern zum Opfer fallen.
Weniger bekannt ist jedoch, daß die ukrainischen Behörden und etliche Nichtstaatliche Organisationen (NGO) all dem nicht mehr tatenlos zuschauen. Jeffrey Labovitz, Chef des Büros der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Kiew, ist sogar der Meinung, daß sich die Ukraine in den letzten drei Jahren im Hinblick auf den Kampf gegen diesen Menschenhandel geradezu in ein Musterland unter den osteuropäischen Ländern entwickelt hat – wofür er nicht zuletzt auch die Unterstützung des Westens verantwortlich macht. Anshela Belak kann diese positive Entwicklung genau beschreiben. Wenn sie in Kiew an die Universitäten und Hochschulen geht, um das Au-Pair-Programm ihres Vereins für internationale Jugendarbeit vorzustellen, spürt sie sofort die Abwehrhaltung der Studentinnen. Au-Pair-Vermittlungen nach Deutschland: Das riecht denn doch zu stark nach versteckter Anwerbung für Bordelle und Nachtclubs. Auch auf Anzeigen von Arbeitsvermittlungsstellen, in denen junge und sympathische Mädchen gesucht werden – »Kost und Logis frei!« – reagieren die jungen Frauen mehr und mehr verhalten. Diese Skepsis zeigt, daß die Dokumentationen im Fernsehen über die Schicksale der Mädchen, die als Serviererinnen angeworben wurden und dann in Frankfurter Bordellen pro Nacht zehn Männer bedienen müssen, und die Rundtischgespräche und Lektionen zum Thema allmählich erste Ergebnisse bringen.
La Strada, 1995 in Holland gegründet und seit 1997 mit Filialen landesweit in der Ukraine tätig, ist eine der Gruppierungen, die angetreten sind, etwas gegen den Frauenhandel zu unternehmen. Ihre Lektoren gehen in die Universitäten und Schulen, auch in Waisenheime – wo eine besonders gesuchte Zielgruppe der Menschenhändler lebt –, und sie sprechen mit Straßenkindern. Im Anschluß an die Gespräche werden farbenfreudige Faltblätter verteilt. »Euch wurde Arbeit im Ausland angeboten. Prüft, ob die Firma dazu vom Ministerium für Arbeit eine Lizenz hat. Kontrolliert die Aussagen beim Ministerium direkt. Telefonnummer 220 43 69«. Ein wichtiger Hinweis – ergaben im Jahre 2002 doch staatliche Kontrollen bei rund 400 Arbeitsvermittlungsfirmen, Reisebüros und Heiratsagenturen nicht weniger als 191 Gesetzesverstöße. Auf den Infoblättern findet sich außerdem fett gedruckt die Telefonnummer der kostenlosen Hotline von La Strada, die seit dem 1. November 2002 von der OSZE finanziert wird. Mit den Grenzbehörden ist vereinbart, daß sie allen aus Westeuropa zurückkehrenden jungen Frauen bei der Einreise in die Ukraine die Faltblätter mit der Hotline aushändigen – als Angebot: zum Reden, für medizinische Hilfe, psychiatrische Betreuung, Weiterbildung. Im Jahr 2003 haben 4851 Frauen über diese Linie Rat und Hilfe erfahren.
Der Weiterbildung der Polizei widmet sich die Gruppe Winrock International. Am Anfang der Zusammenarbeit im Jahre 2000 – so sagt Amy Heyden, Leiterin des Büros in Kiew – habe Skepsis geherrscht auf beiden Seiten. »Wir sahen die Miliz als schrecklich korrupt an. Die Miliz wiederum sah nicht ein, was ihnen ausgerechnet die Zusammenarbeit mit einer NGO bringen sollte.« Handlungsbedarf habe man auf Milizseite nicht gesehen, da ja »die Opfer der Menschenhändler allesamt Frauen seien, die schon in der Ukraine als Prostituierte gearbeitet haben, wissentlich auf die Angebote eingegangen sind und deshalb nicht die Hilfe der Polizei verdienten.« Eine weit verbreitete Auffassung, die dadurch freilich nicht richtiger wird. Studien zeigen, daß 85 Prozent der Opfer nicht wußten, daß ihre Arbeitgeber unter Pilzesammeln in Holland, Servieren in Restaurants oder Au-Pair-Anstellungen sexuelle Dienstleistungen verstanden. Nun bemüht sich Winrock um juristische Weiterbildung, aber auch um das Training im Umgang mit Opfern, damit betroffene Frauen bei Befragungen nicht erneut traumatisiert werden. Im Ergebnis dieser Arbeit hat sich das Vertrauen der Opfer zur Polizei erhöht. Während 1998 nur zwei Frauen bereit waren, gegen die Menschenhändler juristisch vorzugehen, waren es im Jahr 2003 bereits 289.
Die Arbeit mit den Opfern stellt die IOM in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen. Sie ist seit 1998 in der Ukraine tätig und verfügt über ein Netz von 24 regionalen Organisationen, die sich an Ort und Stelle um die Opfer kümmern. So geht die Gruppe Wiedergeburt der Nation in der westukrainischen Stadt Ternopil ganz bewußt in die kleinen Dörfer, wohin die bunten Faltblätter nicht gelangen, fragt die Bürgermeister, wer von den Mädchen zurückgekommen ist, und sucht das Gespräch mit ihnen. Nicht selten sind die jungen Frauen körperlich und seelisch erkrankt, infiziert mit AIDS und Syphilis und absolut ratlos. Von 2001 bis 2003 wurden allein aus Ternopil 260 Frauen zur IOM vermittelt. In Kiew unterhält die IOM seit Februar 2002 ein Rehabilitationszentrum, finanziert von der schwedischen Agentur Sida und der US-Regierung. 373 Frauen haben im Zentrum bis Ende 2003 Hilfe erhalten: in 295 Fällen wegen Geschlechtskrankheiten, in elf wegen AIDS, in zwei wegen Gehörverlusts in Folge von Schlägen auf den Kopf, in 103 wegen psychiatrischer Erkrankungen.
Trotz der Fortschritte wird es nicht einfacher. Die Menschenhändler sind den Organisationen immer um einen Schritt voraus. Gesetzliche Regelungen werden schon allein dadurch unterlaufen, daß um die 60 Prozent der Frauen durch Bekannte ins Ausland vermittelt werden. Sieben Millionen Menschen haben seit 1990 die Ukraine verlassen. Es gibt Gegenden im Land, in denen das halbe Dorf inzwischen in Westeuropa arbeitet. So hat beinahe jeder einen Bekannten im Ausland, der vom »tollen Leben« in der Ferne schwärmt. Oftmals versprechen die Menschenhändler den Frauen auch, daß sie sich freikaufen können, wenn sie andere Mädchen aus ihren Heimatorten anwerben. Und schließlich und vor allem: Für ein ukrainisches Mädchen werden auf dem »Markt« zwischen 5000 und 25000 Dollar bezahlt. Der weltweite Gewinn für Händler und Verteilerringe beläuft sich nach Schätzungen der UNO auf sieben Milliarden US-Dollar pro Jahr. Das ist ein einträgliches und zudem relativ risikofreies Geschäft, das auf Platz drei auf dem Weltmarkt rangiert, gleich nach dem Handel mit Waffen und Drogen.
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