von Klaus Hart, Rio de Janeiro
Preta Gil, Tochter des brasilianischen Kulturministers und berühmten Musikers Gilberto Gil, macht in dem Tropenland derzeit Furore. Sie provoziert mit erfrischend politisch unkorrekten Sprüchen und mit kritischen Positionen zu Politik, Kultur, Rassismus und Sex. Erst seit kurzem ist sie Sängerin und Schauspielerin, vor einem Jahr veröffentlichte sie ihre erste CD. Viele Brasilianer dachten anfangs: Schon wieder eine, die den Ruf eines famosen Papas ausnutzt, um sich zu profilieren, um Karriere zu machen. Doch Preta Gil hat wirklich Talent – und der Vater rauft sich über sie des öfteren die Haare. Denn die Tochter sagt Sachen, die sich Minister Gil im Amte nimmer wagen dürfte.
In der Megametropole São Paulo probt sie für ihre erste Samstagabendshow im Fernsehen, gibt Konzerte, serienweise Interviews. Die Texte der CD entspringen ihrem Alltag, dem einer Brasilianerin – all der Streß, die Hektik von São Paulo, Rio de Janeiro, der tägliche Überlebenskampf, Karneval und Euphorien; daneben Armut, Misere. Das komplexe Auf und Ab auch im Beziehungsalltag – da kennt sich Preta Gil bestens aus. Sie heiratete bereits mit siebzehn den deutschstämmigen Schauspieler Otavio Müller, reiste mit ihm viel durch Deutschland. »Ich habe eine große Leidenschaft für dieses Land, war in Berlin, Hamburg, München.«
Die Liebe währte nicht allzu lange – andere interessante Partner folgten, der Papa hielt es ja ähnlich. Als der die CD erstmals in die Hand bekam, sagte er nur: furchtbar, furchtbar, furchtbar – denn seine nur einssechzig große, mollige Tochter ist im Beiheft mehrfach splitternackt zu sehen. Sie protestiert damit gegen das auch in Brasilien propagierte westliche Schönheitsideal, gegen die gängige Idee, daß nur schlanke, magere Frauen attraktiv, sinnlich, anziehend seien.
»Wegen der Fotos gab es in der Öffentlichkeit ein Riesentheater – unmöglich, du als Tochter des Ministers, du bist doch viel zu dick. Das hat mich erst richtig wildgemacht – ich habe die Frauen aufgefordert, diese Diktatur der Magerkeit nicht zu akzeptieren, sich mit ihrem Körper zu identifizieren, diesen ganzen Diätkram, diese Fettabsaugerei nicht mehr mitzumachen. Und sich mehr zu spiritualisieren, mehr auf die inneren Werte zu achten. Ich finde mich schön – und basta. Das kommt sehr gut an, ich werde deshalb jeden Tag auf der Straße angesprochen. Frauen mit meiner Figur wagen sich erstmals an die Strände, selbstbewußt, im Bikini! Ein Mann sagte: Danke, Preta, bisher wollte meine Freundin mit mir nur im Dunkeln vögeln, ich konnte nicht mal ihren Körper sehen. Jetzt tut sie es mit mir bei Sonnenlicht, wunderbar! Also habe ich mit diesen Fotos, mit meiner Haltung, anderen geholfen. Mein Vater sagt, ich mache Politik für die Dicken. Na und? Ich sehe überall soviel Oberflächliches, Scheinheiliges, Mittelmäßiges, Banales, dümmlichen Starkult – da muß doch jemand auch mal Gegenpositionen vertreten.«
Preta Gil nennt sich sehr romantisch, ist aber auch ganz schön verrückt. In ihren Presseinterviews nimmt sie auch beim Thema Sex kein Blatt vor den Mund. »Sexuell gesehen, mag ich es gleichzeitig mit einem Mann und einer Frau, habe das schon gemacht. Das war eine transzendentale Erfahrung in meinem Leben. Und über die sexuellen Erfahrungen habe ich mich selber, als Frau richtig kennengelernt, meine Sinnlichkeit entdeckt, meinen Körper. Natürlich hieß es in den Klatsch-TV-Sendern gleich: Preta Gil bekenne sich zu ihrer Homosexualität, die Tochter des Kulturminister sagte, schon Gruppensex gemacht zu haben.« Preta Gil lacht sich krank auf dem Sofa: »Das Land ist eben noch nicht vorbereitet für meine Positionen, was ist das für eine Scheinheiligkeit? Wer hat dennnoch nie sowas gemacht wie ich? Und wers nie tat, sollte es endlich tun, weil es einfach gut ist! Und wer nicht will, läßt’s eben bleiben. Ich gebe keine Ratschläge, rede nur von mir, meinem Leben, laßt mich in Frieden!«
Preta heißt die Schwarze – sie ist stolz auf den Namen. »Rassismus habe ich schon als Kind gespürt – und die Schwarzenbewegung in mir drin. Die grausamsten Ghettos sind die Favelas. Wir Dunkelhäutigen müssen weiter für Chancengleichheit kämpfen. Leider fehlen in Brasilien große Schwarzenorganisationen, große Schwarzenführer und Intellektuelle, die für den Kampf positive Botschaften formulieren könnten. Die brasilianischen Negros fühlen sich ausgeschlossen. Ich selbst habe nie auf meine Hautfarbe geschaut. Heute tragen doch alle Masken, leben in einer Welt des politisch Korrekten, reagieren unecht, da man ja nicht rassistisch sein, nicht diskriminieren darf. Alle diese Kampagnen im Fernsehen zugunsten der Schwarzen halte ich für absolut scheinheilig. Daß jetzt eine Dunkelhäutige erstmals Hauptdarstellerin einer Telenovela ist, nennen sie eine Errungenschaft – dabei ist es doch nur Maske! Man zeigt den Slum-Alltag, schwarze Jugendliche, ihre Leidensgeschichten – doch das hat keinerlei Konsequenzen, niemand tut etwas.« Politische Korrektheit schränke doch nur ein, sei einfach öde, werde von ihr abgelehnt.
In den Slums frequentiert Preta Gil eine kleine Kirche, die Homosexuelle, Transvestiten, Drogensüchtige akzeptiert. »Jesus Christus« hat sie sich ganz groß auf ihrem Unterarm eintätowiert. Das ist selbst in einem so extrem religiösen Land wie Brasilien sehr selten. »Jede Woche gehe ich einmal in diese Kirche, das muß sein. Dort bin ich den einfachen Leuten ganz nahe – ihr Glaube ist so beeindruckend groß, dadurch überleben sie. Wir studieren die Bibel, ich danke dort Gott für alles, was in meinem Leben passierte, was ich erreichte.«
Unweit von ihrer Wohnung in Rio toben in den riesigen Armenvierteln täglich Gefechte zwischen rivalisierenden, hochbewaffneten Banditenmilizen des organisierten Verbrechens, sie terrorisieren die Bewohner. Oft greift die Polizei ein, besetzt zeitweise Favelas. Laut den Vereinten Nationen werden in Brasilien jährlich mehr Menschen durch Feuerwaffen getötet als im Irakkrieg – über 45000.
»Es ist aussichtslos. Nicht nur die Slums werden von der gutorganisierten Drogenmafia beherrscht. Tudo dominado! Das macht mich traurig, denn Rio ist ja wunderschön, hat aber diesen Krebs in sich. Sozial und kulturell sind die Favelas ein Abgrund. Die Leute dort akzeptieren die Drogenbanditen, weil sie sonst niemanden haben, denen sie vertrauen könnten. Wer Hunger hat, klopft an die Tür des Gangsters, der gibt ihnen etwas zu essen – eine völlig andere, schwierige Realität! Die Polizei ist korrumpiert, die Regierung ist korrumpiert, alle sind doch verwickelt, das ändert sich nie mehr, es ist zu tief verwurzelt! Aber ich will angesichts dieser ganzen Grausamkeiten nicht mehr anonym bleiben, will das alles nicht mehr hinnehmen. Ich will Leuten helfen, etwas bewirken.« Ende Mai wurde sie im dichten Verkehr São Paulos um ein Haar von Motorrad-Banditen, die nahe dem Gouverneurspalast mit dem Revolver an die Scheiben ihres Taxis klopfen, überfallen. Zufällig folgte ein Polizist in Zivil, alles ging glimpflich ab.
Schlagwörter: Klaus Hart