Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 5. Juli 2004, Heft 14

Hier spielt man deutsch

von Klaus Hansen

Deutsche Fußballer haben der portugiesischsprachigen Welt schon viel Freude bereitet. Leider ist das lange her. Franco Foda vom 1. FC Kaiserslautern bestritt 1987 eines seiner wenigen Länderspiele in Rio de Janeiro gegen Brasilien. Als der Stadionsprecher seinen Namen nannte, brach lautes Gelächter aus. »franco foda« bedeutet auf portugiesisch: »Ficken umsonst«. Ein Lacherfolg. Im allgemeinen verstehen die Deutschen, wenn es um Fußball geht, keinen Spaß. Wenn sie verlieren, sind sie oft schlechte Verlierer. Berti Vogts setzte nach dem WM-Aus 1998 die Legende in die Welt, derzufolge man die 0:3-Niederlage gegen Kroatien höheren Orts angeordnet habe. Nach dem WM-Titel 1990 verkündete Kaiser Franz : »Es tut mir leid für den Rest der Welt, aber die Deutschen werden auf Jahre hinaus nicht zu schlagen sein.«
Im Fußball scheinen die ach so mittelmäßigen Deutschen jedes Maß zu verlieren. Geht es gegen die Kleinen, holt man die große Keule aus dem Sack. »Heute plätten wir die Letten«, titelte BILD vor dem EM-Spiel gegen das baltische Land, das halb so viele Einwohner hat wie Berlin. Leider gelang es nicht. Also schrieb man das Versagen der eigenen Großzügigkeit bei der Verwertung der sage und schreibe zwei Torchancen zu, nicht etwa dem fehlenden Können, das in der Sprache deutscher Trainer »Potential« heißt und semantisch die Hoffnung schürt, daß da tatsächlich etwas sei, was im Falle des Falles »abgerufen« werden kann. Vor allem aber vergaß der verhinderte Lettenplätter sich beim englischen Referee zu bedanken, der den Balten zwei glasklare Elfmeter versagt hat. Doch der deutsche Fußballer bedankt sich prinzipiell nicht. Das wäre unter seiner Würde. Schließlich ist er Rekord-Europameister (drei Titel) und dreifacher Weltmeister. Neuerdings trägt Mannschaftskapitän Pannen-Olli sogar einen Titel in die Arena, den es gar nicht gibt: »Seht her, hier kommt der Vizeweltmeister, mit diesem Selbstbewußtsein müssen wir raus auf den Platz gehen«, sagte Kahn vor dem Spiel gegen Tschechien.
Die Fernsehberichterstattung eines Fußballspiels dauerte in den zurückliegenden EM-Wochen, jedenfalls solange die deutsche Elf im Spiel war, 300 bis 400 Minuten täglich. Wie kann man 6 Stunden über ein Spiel reden, daß nur anderthalb Stunden währt? Hier stimmen die Proportionen nicht mehr. Oder ist das Fußballspiel plötzlich so kompliziert geworden? Oder sind wir Fernsehzuschauer plötzlich so doof geworden? Wartet eigentlich jemand auf die sensationelle Nachricht, die uns ein mit dem Hundenamen »Waldi« gerufener öffentlich-rechtlicher Herr namens Hartmann kurz vor Mitternacht aus dem Quartier der DFB-Elf in Almancil »live und aktuell« – immer diese künstliche Aufgeregtheit! – übermittelt: »Die Spieler liegen bereits alle im Bett«? Eine Scientology-Sekte der Fußballberichterstattung ist da am Werk. Der »TV-Analyst« Netzer sieht Qualitäten im deutschen Spiel, die keinem Fernsehzuschauer im weiten Erdenrund aufgefallen sind. Beckenbauers orale Kaulaute (»Schau’mer ma«) verströmen eine blöde Zuversicht, die ohne jeden Grund ist. Spieler und Funktionäre achten allein auf das, was hinten rauskommt, das Resultat. Der Ex-Bundestrainer nennt das im Brustton der Pseudowissenschaftlichkeit »Outputorientierung«. Der Deutsche, scheint es, hat nur eines im Sinn: er will »weiterkommen«, wie erstolpert und ergaunert der Sieg auch immer sei. Die Forderung nach einem »schönen Spiel« weist man mit der Überheblichkeit der Effizienz-Technokraten zurück. Was fängt der Deutsche mit Schönheit an? Jawohl, »in Schönheit sterben«, lautet die Redewendung. Erst wenn der Deutsche defensiv sein und das Spiel des Gegners zerstören kann, lebt er so richtig auf. Mit diesem statischen Sicherheitsfußball einfallsloser Grobmotoriker hat man über viele Jahre derart große Erfolge erzielt, daß die Welt vor den Deutschen zu resignieren begann und die Gültigkeit von »Lineker’s Law« achselzuckend hinnahm. »Fußball ist«, hatte der englische Stürmerstar Gary Lineker anfangs der neunziger Jahre definiert, »wenn 22 spielen, und am Ende gewinnt immer Deutschland.« Damit ist es jetzt endgültig vorbei. Ausgeschaltet von einer locker aufspielenden Reservemannschaft, steht der Vizeweltmeister nackt da: keine Spielkultur, Schwerfälligkeit, blasierte Teilnahmslosigkeit in der Stunde des Ausscheidens. Nicht einmal die Fähigkeit, mit fliegenden Fahnen unterzugehen, besitzen die Deutschen noch. Aber eines können sie jederzeit, auch nach der K.O.-Niederlage: die Augen geschlossen nach vorn richten und den Weltmeistertitel 2006 für eine abgemachte Sache halten. Diese Arroganz des Biedermanns ist es, die viele, auch mich, anekelt.