von Joachim Großkreutz
Der Komischen Oper ist er 28 Jahre lang eng verbunden gewesen, anfangs als Spielleiter im Ensemble, lange als Gastregisseur, von 1976 bis 1981 als Intendant und Chefregisseur. Begonnen hatte alles mit einem Aufsatz von Joachim Herz, der Walter Felsenstein gefallen hatte und letztlich zum Vertrag mit dem jungen Spielleiter führte. Der kam nicht als Anfänger an das Haus, sondern hatte in der Nachkriegszeit eine solide musikalische und Regie-Ausbildung erhalten und konnte auf große Erfolge als Opernregisseur unter den schwierigen Bedingungen eines Tourneebetriebs verweisen. Dennoch ergriff er die Chance, noch einmal zu lernen und bei Felsensteins später legendär gewordener Zauberflöten-Inszenierung zu assistieren.
Mit seinen frühen Puccini-Inszenierungen Manon Lescaut und Turandot betrat er ungebahnte Pfade, die Meisterinszenierung von Brittens Albert Hering zeigte seine spezielle Begabung für das Parodistische und Groteske. Der 1960 herausgekommene Schwejk übertrumpfte diesen Erfolg womöglich. Die Kritik sprach von »Welttheater« und stellte Vergleiche mit Piscator an, das Berliner Ensemble lud den Regisseur zu einer Gastinszenierung ein. Bei Henzes Der junge Lord im genialen Bühnenbild Reinhart Zimmermanns spielte Herz dann 1968 noch einmal auf der Klaviatur grotesken Humors, »böse Dinge im Puppenstand, das Kleine Abc der deutschen Misere« zeigend.
Sechs Jahre zuvor verdankte ihm die Komischen Oper durch seinen hinreißenden Fliegenden Holländer den ersten Wagner im Repertoire; ein Ergebnis der langjährigen Auseinandersetzung des Regisseurs mit dem zwiespältigen Genius des musikalischen Dramas, mit dessen Meistersingern er 1960 als Operndirektor das neue Leipziger Opernhaus eröffnet hatte und dessen Ring er rund fünfzehn Jahre später, wiederum mit Rudolf Heinrich, einer bahnbrechenden Neudeutung unterzog. Sie wurde nur leider vor dem »Eisernen Vorhang« nicht so recht zur Kenntnis genommen.
Mit Verdis Die Macht des Schicksals begann 1971 eine neue Phase der Gastinszenierungen von Joachim Herz an der Komischen Oper. Die Verdi-Interpretation zeigte noch einmal den Meister der Chorregie und den Spezialisten für epische Stoffe, zugleich wurde dem Werk mit der Entscheidung für den wiederaufgefundenen Schluß der Petersburger Urfassung eine ganz neue Dimension gewonnen. Katja Kabanowa war ein Höhepunkt in Herz’ Bemühen um die slawische Oper; seine prinzipielle Aufgeschlossenheit für die musikalische Moderne zeigte die DDR-Erstaufführung von Bergs zweiaktiger Lulu beziehungsweise fünf Jahre später die Berliner Erstaufführung der von Friedrich Cerha ergänzten Fassung.
Inzwischen hatte Joachim Herz eine schwere Bürde übernommen und war als Nachfolger Walter Felsensteins Intendant der Komischen Oper geworden. Als Antrittsinszenierung wählte er Brecht/Weills Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny – ein Werk, mit dem er sich schon in Leipzig auseinandergesetzt hatte und das mit seinem galligen Witz, den großen Chorszenen und der offenen Form seinen inszenatorischen Stärken entgegenkam. Sensationelle 78 Aufführungen erlebte diese Inszenierung in fünf Jahren; denn Herz, seit seiner ersten Inszenierung der beste Kenner jeglicher Umfeld- und Sekundärliteratur, hatte nicht Brecht-Theorie hinter der halbhohen Gardine inszeniert, sondern höchst blutvolles, lebendiges, unasketisches Theater, das die bitteren Wahrheiten der Autoren um so deutlicher hervortreten ließ.
Die darauffolgende Madam Butterfly wurde geradezu zu einer Neuentdeckung des Stückes, da es dem Regisseur gelang, den Ricordi-Tresoren die spröde Urfassung zu entwinden und partiell auf sie zurückzugehen. Auf 227 Vorstellungen brachte es die Aufführung, die im übrigen ein Exportschlager wurde und an einer englischen Bühne noch im Jahr 2002 eine Wiederaufnahme erlebte. Zur 46 Mal gespielten Uraufführung von Kirsch/Katzers Das Land Bum-Bum mußte die DDR-Zensur notgedrungen gute Miene machen, denn das Ministerium für Kultur selbst hatte einst das in einer Schublade schlummernde Stück mit einem Preis bedacht. Aber Sentenzen wie »Wenn nicht jeder jedem nachspioniert und nicht jeder jeden denunziert, bricht das Land zusammen …« (deren Illustration im Programm-Poster Herz auch noch deckte) dürften der Obrigkeit nicht gut in den Ohren geklungen haben.
Auch sonst versuchte der Intendant, Türen und Fenster, die er nicht aufstoßen konnte, wenigstens etwas zu öffnen. Er engagierte den Briten Mark Elder als Dirigenten seiner Butterfly und knüpfte einen Kontakt mit dem Regisseur David Pountney, er holte Göran Järvefelt für Monteverdis Krönung der Poppea und last but not least Jerôme Savary für die höchst erfolgreiche Offenbach-Féerie Die Reise auf den Mond.
Als Theoretiker hat sich Joachim Herz wie sonst nur wenige Regisseure des Musiktheaters zu fast allen mit dem Genre verbundenen Fragen fundiert, eloquent und immer leidenschaftlich geäußert. Seine Schriften, vor allem der längst vergriffene Akademie-Band Theater – Kunst des erfüllten Augenblicks (1989) sind eine Fundgrube für jeden Interessierten.
Dem Regisseur Herz allerdings flicht schon die Mitwelt keine Kränze. Über die Urfassung der Butterfly wird in Berliner Feuilletons geplaudert, ohne daß Herz’ inszenatorische Pioniertat wenigstens beiläufig erwähnt würde. Universitätsinstitute führen mehrtägige Colloquia zu Madam Butterfly oder Mahagonny durch, ohne daß ein solcher Spezialist für diese Werke wie Joachim Herz auch nur eingeladen würde.
Wünschen wir ihm, daß die Zukunft keine weiteren Erfahrungen dieser Art für ihn bereithält und er noch lange als »Vortragsreisender« das bleibt, was er auch in seiner »regieaktiven« Zeit immer war – ein wacher und kritischer Beobachter nicht nur der Kunstszene, sondern auch dieser Welt, die wache und kritische Kunst so nötig hat.
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