Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 24. Mai 2004, Heft 11

Tage der Commune

von Wolfgang Haible, Peking

Gestern habe ich zum ersten Mal die Internationale auf Chinesisch gehört und bewegte rote Fahnen – ohne jene Sterne, die ansonsten die an bewachten Masten hängende Beflaggung zieren – gesehen: Wir waren in einem Theater, das anläßlich des 1. Mais Brechts Die Tage der Commune aufführte. Die Darsteller waren Studenten einer Fachhochschule für Film. Das Ganze kostet stolze achtzig Renminbi, billiger geht es nur im Kollektiv, also wenn man mindestens hundert Karten abnimmt. Wir waren aber nur ein kleines Kollektiv, zu zweit. Größere Kollektive hatten offensichtlich kein Interesse, das Theater war nur zu einem guten Drittel gefüllt. Es werden, vermute ich, Freunde und Freundinnen und die Lehrerschaft gewesen sein.
Die Studenten spielten engagiert und hatten auch nicht vergessen, ein Zitat von Deng Xiaoping einzubauen: Daß es egal sei, ob die Katze weiß oder schwarz ist, Hauptsache sie fange Mäuse. Freilich frage ich mich hier, wer ist Maus und wer ist Katze?
Eingeleitet wurde jede Szene mit einer Erklärung aus dem Off; Musik wurde nur spärlich eingesetzt, übrigens eher stimmungsvolle »Filmmusik«, keine Brecht-Songs. Das einzige Lied, das gesungen wurde, war die Internationale. Die Szenen wurden durch rote Plakate, die aus dem Fenster der Bühnenaufsicht hingen, kommentiert. In der späteren Diskussion nannte der Regisseur dies »V-Effekt«.
Auch sagte er, er hätte das Stück wegen des 1. Mais ausgewählt, doch vermochte er nicht, seine Wahl näher zu begründen. Dann fiel ihm noch ein: Einer der »Fehler« der Pariser Kommunarden sei gewesen, daß sie es unterlassen hätten, die Bank von Frankreich anzurühren, also zu »verstaatlichen«. Hier in China werden Banken gerade privatisiert. Das hätte ein aufregender Theaterabend werden können …