von Kurt Merkel
Man erinnert sich an die zuweilen durchaus auch vergnüglich gewesene Fernsehsendung des bekannten Großkritikers zum Zwecke der Literaturzertrümmerung. Und man erinnert sich an den gegen empfangene Beleidigung protestierenden Auszug der Frau Löffler aus der Diskussionsrunde. Diese ist nun im fünften Jahre verantwortliche Redakteurin der sehr lesenswerten Zeitschrift Literaturen. Das Journal für Bücher und Themen. Das jüngst erschienene Heft 04/04 steht unter dem Titel Wolfs Revier. Aufschwung Ost im Leseland. Der beachtlichste Beitrag, der sich mit diesem Thema beschäftigt, ist der von Christa Wolf, die unter der Überschrift »Von der Sehnsucht nach Freiheit« die Schriftstellerinnen Irmtraud Morgner, Inge Müller, Brigitte Reimann und Maxie Wander als »an der real existierenden DDR gescheiterte« Vertreterinnen einer »Literatur des aufrührerischen Denkens« vorstellt. Und Wolf macht gleich eingangs klar, worum es ihr geht: »Die Rede ist vom Leben im Osten Deutschlands, in der DDR. Die Rede ist von der Mitarbeit an einem großen Entwurf, der sich ›Sozialismus‹ nannte und kreative Kräfte freisetzte, eine Anschub-Energie, die nachwirkte, auch über die Jahre hinaus, in denen ihre Voraussetzungen sich als unhaltbar erwiesen, ihre Grundlagen immer mehr zerstört wurden.«
Diese sehr differenzierte und geschichtliche Entwicklung einbeziehende Betrachtung der jüngsten Vergangenheit hat so überhaupt nichts mit einer wie auch immer sich vorführenden »Ostalgie« zu tun, daß sich Wolf davon nicht einmal distanzieren muß.
Solche Haltung wird allerdings nicht von allen Autoren des Heftes geteilt. Sibylle Wirsing, vor allem aus ihren Kritiken in der FAZ bekannt, erhält in der Rubrik »Bücher des Monats« die Gelegenheit, an Hand des Romans Landnahme von Christoph Hein ihre Wut über eine solche Sicht auf die DDR vorzutragen. Selbst die Zeitschriftenredaktion bescheinigt ihr, sich für diesen Roman »nicht recht erwärmen« zu können, ein kaum zu überbietender Euphemismus. Hein schreibt in seinem seit Der fremde Freund bekannten sachlich kühlen, auf Distanz und allmählichen Erkenntnisgewinn angelegten Stil.
In Frau Wirsings Kopf muß das Lesen aber eine Hitzewallung erzeugt haben, die selbst ihr dort abgelegtes Wissen um Literatur zumindest zeitweilig abgeschaltet hat. So kann sie zwar noch erkennen, daß es sich da um einen »Kranz der Novellen« handelt, die aus unterschiedlichen Erzählperspektiven vorgetragen werden. Doch daß es nur einen Autor Hein gibt, bleibt ihr so verschlossen, daß sie die Figurensprache, die bei aller Differenzierung eben immer auch die Heins bleibt, als »faulen Sprachzauber« verdammt, mit Hilfe dessen die Figuren mit »prätendierter Volkstümlichkeit«, als hätten sie ihre Erzählfertigkeit in einem »schreibenden Zirkel im Sozialismus« erworben, als seien sie »Reklametypen aus Bitterfeld« und »Volksmünder«, »keine Romanfiguren, sondern Romanfunktionäre«, ihre Geschichten vortragen.
Die diffamierenden Bestimmungen lassen vor allem eins erkennen: Frau Wirsing paßt die ganze Richtung nicht. Sie könnte es Hein verzeihen, Teil der »heutigen Spaß-DDR« zu sein. Daß er das aber nicht ist und auch nicht über die »Schreckensherrschaft« schreibt, sondern eine ganz andere Geschichte erzählt, das ist ihr zuviel. Als »Hauptthema« erkennt sie »die Machenschaften und krummen Touren« des literarischen Helden. Sie muß das falsche Buch gelesen haben. Ich las die Geschichte vom schwierigen Ankommen des ehemaligen Vertriebenenkindes in der kleinstädtischen »Elite« der Selbständigen, die ihre Macht und ihren Einfluß über alle Wechsel politischer Systeme hinweg, in der DDR verdeckter, in der Nachwendezeit wieder offen, erhalten konnte. Eine Elite, die auch den Mord an einem Vertriebenen, dem Vater der Hauptfigur, zu verantworten hat und aus der heraus nun der Enkel des Ermordeten den Fremdenhaß auf die Vietnamesen überträgt.
Eine solche Geschichte ist für Frau Wirsing deckungsgleich mit dem Errichten eines Potemkinschen Dorfes, Hein gilt ihr als ein »Grufthauch« verströmender »Günstling von Koryphäen des öffentlichen Lebens«. Damit meint sie wohl Leute wie von Weizsäcker und Thierse, mit deren Politik solche Literatur harmoniere.
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