von Gerd Kaiser, z.Z. Warschau
Warszawa, 27. März 2004, 12.00 Uhr mittags, high noon … Marek Borowski, Sejm-Marschall, verkündet die Gründung der Polnischen Sozialdemokratie (SDPL, Socjaldemokracja Polskiej). Fünf Senatoren, zwei der SLD und drei weitere der mit der SLD koalierenden UP (Unia Pracy) sowie 22 Abgeordnete der (noch) regierenden SLD des Ministerpräsidenten Leszek Miller, der am 2. Mai zurücktreten wird, ergriffen die Initiative. Sie unterzeichneten eine von Borowski (seine Anhänger werden einem Wortspiel mit seinem Namen zufolge »borówki«, Preiselbeeren, genannt) und Andrzej Celinski vorbereitete programmatische Geburtsurkunde der neuen Partei.
Sie versteht sich als neue Linke in Polen. »Wir verlassen die SLD«, so Borowski, »ohne Mitgift, ohne Immobilien, ohne Konten. Wir sind bereit, hart zu arbeiten, um die Ehre der Linken zu bewahren, damit Polen und seine Bürger eine sozialdemokratische Chance haben.« Desweiteren stellte Borowski einen Offenen Brief an die Mitglieder der SLD vor: »Wir wissen, daß ein Teil der … Mitglieder der SLD unsere Initiative als Spaltung der polnischen Linken verurteilt, als Bruch mit der traditionellen Einheit. Daß die Einheit über Jahre hinweg ein Anspruch der Linken war, das stimmt. Eine falsche Einheit ist jedoch heute gefährlicher für die polnische Linke als der Bruch und die Suche nach neuen Wegen, damit die Linke ihre Kraft und ihre Bedeutung wieder gewinnt. Wir sind uns bewußt, daß die Zukunft unserer Initiative von der Akzeptanz durch die Wähler, von Polens Bürgern abhängen wird …«
Die neue Partei wolle für alle linken Strömungen und vor allem für junge Leute offen sein: »Die Türen sind weit geöffnet«. Eintreten will, wie unverzüglich zu hören war, zum Beispiel der Vizechef der Arbeitsunion (UP) Tomasz Nalecz. Seine Absicht ist es, die gesamte UP der Neugründung zuzuführen.
Die neue Partei soll sich auf drei Säulen gründen: erstens auf ein gesundes Staatswesen; zweitens auf sozialdemokratische Traditionen und drittens auf der Öffnung nach Europa. Hinter diesen ziemlich wolkigen Absichtserklärungen verbergen sich unter anderem die deutliche Trennung von Partei und Staat bei der Besetzung von Ämtern; die Überwindung der Korruption, die wie Teer an zahlreichen Politikern der SLD von den Gemeindeverwaltungen bis zur Staatsregierung klebt; der Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit und für ein Bildungswesen, das allen Staatsbürgern offensteht, sowie das Eintreten für eine europaorientierte Politik.
Die erste Meinungsumfrage, veranstaltet von der rechtskonservativen Tageszeitung Zycie sagt der neuen Partei bei einer Wahl 19,1 Prozent der Wählerstimmen voraus. Das wäre nur geringfügig weniger als die etablierten Parteien Bürgerplattform und die bäuerlich-populistische Samoobrona« für sich verbuchen könnten. Für die momentan regierende SLD-UP-Koalition Leszek Millers würden nach dieser Umfrage gerade noch 4,6 Prozent der Wähler stimmen. Bei den letzten Wahlen 2001 waren es noch 41 Prozent!
Die Wurzeln der SLD gehen auf das Wendejahr 1990 zurück. Im Januar 1990 entstanden im Schoße der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei zwei Parteien, die sich ein sozialdemokratisches Etikett anhefteten: die Sozialdemokratie der Republik Polen (SDRP) und die Polnische Sozialdemokratische Union (PUS). Die Fraktion der PVAP im Sejm spaltete sich: Annähernd hundert Abgeordnete gründeten den Abgeordneten-Klub der Demokratischen Linken; vierzig Abgeordnete schlossen sich dem Klub der PUS an. Walesa gab seinerzeit der eben gezeugten SLD allenfalls drei Monate, dann werde sie im Nichts verschwinden.
Bei den Präsidentenwahlen 1990 schickte die künftige SLD den nunmehr parteilosen Wlodzimierz Cimoszewicz ins Rennen. Er gewann mit einem klassisch-sozialistischen Programm 9,2 Prozent der Stimmen. Damit kam er auf den vierten Platz. 1991 ging die SLD mit der Losung in die Wahlkampagne: »So geht das nicht weiter!« Sie kritisierte den neokapitalistischen Transformationsplan des Leszek Balcerowicz (siehe Blättchen, 7/2004), trat unnachgiebig für eine Selbstbestimmung jeder Frau über ihre Schwangerschaft ein, gegen die Allmachtsansprüche eines Teils der katholischen Hierarchie im Leben der polnischen Gesellschaft. Das zahlte sich aus. 12 Prozent der Wählerschaft stimmte für die SLD.
Während sich die Parteien der Rechten ununterbrochen spalteten, neu formierten, umformierten, all dies von ständigen personellen Querelen und Pöstchengerangel begleitet, erwies sich die SLD in den Augen und auch in der Gunst der Wähler als eine Art festgefügte Mannschaft. 1993 schloß sie sich formell mit einigen Dutzend Gruppierungen und Strömungen zusammen. In den Präsidentenpalais Belvedere zog Kwasniewski ein, der damit Walesa zum Auszug zwang.
Geistiger Vater der Umwandlung der SLD war Marek Borowski. Allerdings fehlte es in dieser Partei seit jeher an einigenden und von der Mehrheit geteilten Visionen und an sachbezogenen Analysen. Das wurde besonders im Januar 2000 deutlich. Als auf dem Parteikongreß zur programmatischen Diskussion aufgerufen wurde, meldete sich nicht eine einziger Delegierter zu Wort. Miller bezeichnete das als »einmalig«. Krzysztof Janik, nunmehriger Generalsekretär der SLD, konnte zwar reden, aber niemand hörte ihm zu. Im Saal unterhielt sich jeder mit jedem und keineswegs über ein programmatisches Thema, sondern – über künftige nach der Wahl zu besetzende Posten. Das war es, was die meisten Anwesenden interessierte – ein Wahlsieg als Voraussetzung für Karriere. Wieder einmal schlug die Stunde der Karrierowiczs.
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