Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 12. April 2004, Heft 8

Komiker

von Ove Lieh

Wir müssen uns ehrlich machen!«, sagt Franz Müntefering. Richtig, sage ich, Schluß mit der Schwindelei. Und er sagt: »Wir arbeiten doch alle längst in einer globalen Fabrik!« Schön wär’s ja, seufzen ein paar Millionen Arbeitslose allein in Deutschland. Auch bezweifle ich, daß Münte oder einer seiner führenden Genossen in letzter Zeit mal überhaupt in irgendeiner Fabrik gearbeitet hat. Allein, daß einer dauernd »Glück auf« sagt, macht noch keinen Proleten aus ihm und schon gar keinen Kumpel. Aber er sieht sich mit seiner Partei in so einer Art Missionarsstellung, und ihre Mission ist, den Kapitalismus zu zivilisieren. Also, jetzt mal ehrlich, den Kapitalismus!? Ja welchen denn!? Wir haben doch schon lange keinen mehr, sondern nur so verschiedene Gesellschaften: Industrie-, Informations- oder Wegwerfgesellschaft. Besonders die Bemerkungen mancher Politiker in den Medien der Informationsindustrie über ihre Kollegen sind oft wegwerfend.
Aber nun: doch wieder Kapitalismus. Zivilisiert! Zivil wäre er ja vielleicht wirklich auszuhalten, besser jedenfalls als militärisch. Aber wie soll er denn nun aussehen, der sozialdemokratisch zivilisierte Kapitalismus?
Erhard Eppler spricht: »Die Zwänge der Globalisierung sind so stark, daß es kaum möglich ist, sozialdemokratisches Wollen und diese Zwänge auf einen Nenner zu bringen.« Aber die SPD versucht es wenigstens, und heraus kommen dann Arbeitsmarktreformen zu Lasten der Arbeitnehmer und Arbeitslosen, eine Gesundheitsreform auf Kosten der Patienten, eine Rentenreform gegen Rentner und eine Asylrechtsreform zu Lasten der Asylanten und des Rechts, usw. usf. Zukünftiges eingeschlossen. Man kann Globalisierung und sozialdemokratisches Wollen also schon auf einen Nenner bringen, indem man einfach das sozialdemokratische Wollen den Zwängen der Globalisierung anpaßt.
Wolfgang Thierse sieht zwar immerhin in Details noch Gestaltungsspielraum, aber der Rahmen sei eng, weil wir kaum Wachstum hatten, haben und haben werden in Deutschland und »nicht mehr verteilt werden kann, als da ist« (Erich Honecker). Das beantwortet aber noch lange nicht die Frage, wie verteilt wird und wieso es besonders zum Beispiel sozialdemokratisch ist, den Spitzensteuersatz stärker zu senken als den Eingangssteuersatz! Bitte jetzt nicht wieder die Mär von den arbeitsplatzschaffenden Investitionen wegen Steuerersparnis! Die klingt wie die 5-Pfennig-Brötchen-Diskussion zur Verteidigung des Sozialismus. Beides klingt nett, hat aber mit der Realität nichts zu tun.
Und Schröders Forderung, die SPD müsse für traditionelle Werte wie soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit eintreten? Das kann nur Ironie gewesen sein. Dann wären die Genossen ab sofort keine richtigen Schwindler mehr, sondern – Komiker.