Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 29. März 2004, Heft 7

Zehn Jahre danach – vor den Wahlen

von Heinz Lambarth, Pretoria

Die Kommunistische Partei Südafrikas (SACP) – eine rund 20000 Mitglieder zählende Avantgarde-Partei spätstalinistischen Typs – hat es scheinbar gut. Im Gegensatz zu den zum Teil mehrfach gewendeten und modernisierten Schwesterparteien in Ost und West kann sich die Partei schon jetzt sicher sein, in der nächsten Regierung mit Ministern vertreten zu sein. Von den zirka 27 Millionen Wahlberechtigten haben sich rund zwei Drittel registrieren lassen, und von denen – nur die Registrierten dürfen am Wahltag auch tatsächlich Kreuze machen – werden am 14. April wohl knapp 66 Prozent für den African National Congress (ANC) stimmen. Die eigentlich spannende Frage ist nur, ob es möglicherweise sogar 66,67 oder gar 67 Prozent werden, was hieße, der ANC hätte dann eine verfassungsändernde Mehrheit.
Die Kandidaten der SACP finden sich, wie auch die Vertreter des größten Dachverbandes südafrikanischer Gewerkschaften COSATU auf mehr oder weniger günstigen Plätzen auf der Wahlliste des ANC. Weder SACP noch COSATU treten selbständig als wählbare Organisationen an. Nun hat der ANC, dessen führende Köpfe von Präsident Thabo Mbeki über Vizepräsident Jacob Zuma bis zum einflußreichen Minister ohne Geschäftsbereich beim Präsidenten, Essop Pahad, alle ehemalige SACP-ZK-Mitglieder sind, allerdings eine bemerkenswerte wirtschaftsliberale Wende vollzogen. Standen die ersten demokratischen Wahlen 1994 noch ganz im Zeichen eines Aufbau- und Entwicklungsprogramms mit durchaus demokratisch-sozialistischem Anstrich, so wurden die zweiten Wahlen 1999 schon unter veränderten wirtschafts- und sozialpolitischen Vorzeichen durchgeführt. Seitdem hat sich die, auf Liberalisierung, Privatisierung und Auslandsinvestitionen setzende Wirtschaftsstrategie noch weiter verschärft. Der ANC unterscheidet sich heute kaum von seinen »geistesverwandten« Schwesterorganisationen in der Sozialistischen Internationale – alle wähnen sich unter alternativlosem Globalisierungsdruck.
Nun ist der ANC (noch) keine »richtige« Partei. Deshalb können auch Vertreter von SACP und COSATU auf seinen Listen kandidieren; aber er ist schon typisch demokratisch-sozialistisch. Das heißt, typisch neuzeitlich sozialdemokratisch: rhetorisch sozial und praktisch neoliberal. Dies bringt wiederum die Allianzpartner in die zweifellos unpäßliche Lage, politische Konzepte gutheißen und schönreden zu müssen, die in Widerspruch zu den eigenen politischen Bekenntnissen stehen – die Berliner Koalition von SPD und PDS läßt grüßen! Und die sozialen Spannungen wachsen in dem Maße, wie die soziale Ungleichheit wächst.
Neueren Angaben des Statistischen Amtes Südafrikas zufolge ist das Realeinkommen eines »schwarz-afrikanischen« Haushalts zwischen 1995 und 2000 durchschnittlich um 19 Prozent zurückgegangen, während das »weißer« Haushalte um 15 Prozent gestiegen ist. Im Jahre 2000 betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen eines »Schwarzen« 7720 Rand, ein »Farbiger« verdiente durchschnittlich 13349 Rand und ein »Weißer« 59849 Rand pro Jahr (8 Rand entsprechen derzeit etwa einem Euro). Schwarze verdienen im Durchschnitt 12,9 Prozent dessen, was ein Weißer verdient; die 44 Millionen Südafrikaner haben nach Weltbankangaben ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von 2600 US-$ oder 14716 Rand (kaufkraftbezogen 9870 US-$) im Jahr.
Noch gravierender als die soziale Schieflage zwischen den Bevölkerungsgruppen ist allerdings die innerhalb derselben. Im Jahre 2000 entfielen auf die reichsten zehn Prozent unter den Schwarzen fünfzig Prozent des gesamten Einkommens dieser Bevölkerungsgruppe, während die ärmsten zehn Prozent nur ein Prozent des Einkommens erlangen konnten. Diese Zahlen stützen somit – zumindest indirekt – den von Regierungskritikern erhobenen Vorwurf, daß die Politik des Black Economic Empowerment vor allem der Bereicherung einer kleinen elitären schwarzen Minderheit gedient hat.
Das gravierendste soziale Problem ist die Arbeitslosigkeit, hier hat das neoliberale Konzept von Growth, Employment and Redistribution (GEAR) offensichtlich versagt. Statt des versprochenen Wachstums bei Arbeitsplätzen von jährlich drei bis vier Prozent gingen ein bis vier Prozent der Jobs im formellen Sektor pro Jahr verloren – 47 Prozent davon im Bergbau, zwanzig Prozent in der verarbeitenden Industrie und zehn Prozent im öffentlichen Sektor. Die Arbeitslosenrate liegt selbst offiziellen Angaben zufolge nahe vierzig Prozent.
Für viele Familien sind Großmutter oder Großvater, die eine Sozialrente von derzeit monatlich 740 Rand beziehen, die einzigen, die für ein verläßliches monatliches Geldeinkommen sorgen. Von diesem Geld müssen insbesondere Wasser und Elektrizität (vor)finanziert werden. Dazu werden überall im Lande sogenannte Pre-Paid-Meter (Wasseruhren beziehungsweise Stromzähler, die nur dann den jeweiligen Service liefern, wenn sie mit einem vorbezahlten Voucher »aufgeladen« werden) installiert. Wer kein Geld(einkommen) hat, wird abgeschaltet (Strom) oder muß sich an öffentlichen Wasserstellen versorgen. Die hartnäckigen Versuche der regionalen und lokalen Verwaltungskörperschaften, im Bereich der Versorgung mit öffentlichen Gütern eine Strategie der Kostendeckung um jeden Preis durchzusetzen, haben zwar den offenen Widerstand der Betroffenen herausgefordert, aber (bisher) nicht zu Massenprotesten geführt.
Wie auch immer die realistischerweise denkbaren Wahlresultate ausfallen werden – nicht zuletzt weil, trotz aller öffentlichen Dementis, hierzulande noch immer vor allem nach Rassenzugehörigkeit gewählt wird, ist das Ergebnis absehbar. Und selbst wenn sich die ANC-Führung nach außen skeptisch gibt, so ist sie doch im Grunde fest von einem haushohen Wahlsieg überzeugt.
Das Vorwahlgebaren spricht nur eine allzu deutliche Sprache. Da werden die Regeln der Fairneß schon mal in den Wind geschlagen, wenn der ANC lange vor Bekanntgabe des Wahltermins den Wahlkampf eröffnet, was großzügig vom staatlichen Fernsehen übertragen wird, während gleiches anderen Parteien versagt bleibt. Dann weigert sich der ANC, die Kandidaten für die Premierminister der Provinzen vor den Wahlen bekannt zu machen, wohl um dem Präsidenten freie Hand für die spätere Ernennung willfähriger Parteigänger zu lassen. Und schließlich ist auch der Präsident seiner Sache – das heißt seiner Wiederwahl – nur allzu sicher. Jedenfalls hat die Presidency für den 27. April (den 10. Jahrestag der ersten demokratischen Wahlen) schon mal eine große Amtseinführungsfeier ausgerufen, zu der die politischen Oberhäupter aus aller Herren Länder eingeladen sind – und für manche, wie den Ex-Präsidenten von Haiti und Mbeki-Freund Aristide, wird die Anreise sogar wesentlich kürzer und billiger als gedacht. Billig wird indessen die Fete keineswegs. 81 Millionen Rand soll sie offiziell kosten – zirka zehn Millionen Euro.
Die Armen wird es kaltlassen. Sie sind weder eingeladen, noch hätten sie unter den herrschenden politischen Verhältnissen eine realistische Chance, irgendwie in den Genuß dieser Millionen zu kommen. Und Zeit zum Feiern haben sie auch nicht, sie müssen zusehen, wie sie das Geld zusammenbringen, um die Pre-Paid-Meters am Laufen zu halten.