Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 29. März 2004, Heft 7

Ein Banker kommt selten allein

von Gerd Kaiser

Eben wurde der Chef der Nationalbank Polens, Leszek Balcerowicz, als Banker 2004 erwählt. Auf den Schild erhob ihn die britische Zeitschrift The Banker. Nun gab und gibt es in Polen eindeutig klügere und erfahrenere Wirtschaftswissenschaftler als Balcerowicz (Jahrgang 1947), in der Volksrepublik Polen Absolvent der renommierten Warschauer Hochschule für Planung und Statistik (SGPiS). Beispielsweise den früh verstorbenen Oskar Lange (1904-1965) mit großen Meriten um Theorie und Praxis des Wirtschaftens, unter anderem als Ideengeber der SGPiS. Oder Tadeusz Kowalik, einer der Meisterschüler Langes. Letzterer (Jahrgang 1926) war unter anderem in den achtziger Jahren als Berater der Solidarność an grundlegenden politischen Weichenstellungen beteiligt. Er dient – wie seinerzeit auch Lange – seinem Land in Forschung und Lehre. Aber nein, es brauchte keinen klugen Kopf, ein Balcerowicz tat es vollauf.
Als erstes schönte dieser seinen Lebenslauf. Er schwärzte Teile seines Lebenswegs vor 1990. Gründe für die neue Schweigsamkeit: Der Genosse Balcerowicz war nämlich Mitarbeiter des Instituts für Grundfragen des Marxismus-Leninismus. Dieses Institut stand im Rang einer Abteilung des ZK der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei. Und der Banker in
spe wirkte damals als Inspektor (lt. Fremdwörterbuch, Leipzig 1960, Seite 265: Aufseher, Prüfer, Überwacher) der vorstehend erwähnten Abteilung des ZK. Den momentan gültigen Gesetzen der Republik Polen zur »Entkommunisierung« zufolge (Artikel 4, Abschnitt 1, Punkt 3), sind »Personen, die durch ein (Partei)Komitee, die (Partei)Exekutive oder das Politbüro des Zentralkomitees auf die Planstelle eines politischen Mitarbeiters berufen und aus dem Etat der Partei finanziert wurden«, aus politischen Entscheidungsfunktionen auszuschließen. So streng sind (nicht nur dort) die Bräuche. Nicht jedoch bei »Gefälligkeitskadern« wie Balcerowicz, in Polen »Karrierowicz« geheißen.
Balcerowicz schnürte vor anderthalb Jahrzehnten jenes Gesetzes-Paket, das die polnische Version der Transformation einleitete. Von ihm durchgeboxte politische und rechtliche Regelungen öffneten in Polen dem Kapitalismus Tür und Tor. Dem Motto »laissez faire« folgend, bereicherte sich, wer konnte. Darunter waren nicht wenige Vertreter der »alten« und nicht wenige der »neuen« politischen Klasse. Unabhängig von den früheren und unabhängig von den gegensätzlichen Parteiungen gingen die neuen Unternehmer den »polnischen Weg zum Kapitalismus«.
Ein Hauptschlüssel für das Sesam öffne dich war die Geldwirtschaft. Und diesen Hauptschlüssel behielt Balcerowicz auch dann in der Hand, als seine nunmehrige Partei, die Unia Wolnosci bei den nächstbesten Wahlen aus allen Ämtern gejagt wurde. Jüngst befragt, ob er heute etwas im »Balcerowicz-Plan« jener Jahre ändern würde, antwortete er kurz: »Nein.« Die Ablösung der zentralistischen Planwirtschaft durch eine Liberalisierung der Wirtschaft, durch eine durch gefällige juristische Regelungen gedeckte, ungezügelte Privatisierung und die Einführung einer Börse hätten die Erwartungen erfüllt. Die wichtigsten Aufgaben seiner Nationalbank sieht er in der Verantwortung für die Stabilität der polnischen Währung. Diese wirke ihrerseits positiv auf Investitionen. In der Stabilität des neuen Bankensystems durch die entsprechende Kontrolle sieht er die zweite, ebenso wichtige Aufgabe. Deshalb bestehe in der Nationalbank eine spezielle Einrichtung, die Hauptabteilung Bankeninspektion. Die derzeitigen Inspektoren des einstmaligen Inspektors überprüfen, überwachen die Kreditpolitik der Banken im Land.
Im Beitritt Polens zur EU im nahen Wonnemonat Mai sieht Balcerowicz das Ende eines Marathons, der 1990 seinen Anfang nahm. Die »Karrierowiczs« erwiesen sich als Väter der Transformation. Sie bedienten sich mit der Linken und fertigten mit der Rechten jene Regularien aus, die für die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals erforderlich waren. Über Nacht wurden aus vormaligen Nomenklaturkadern nicht nur Nationalbankpräsidenten, sondern auch Staatspräsidenten (die Kwasniewskis) und Ministerpräsidenten (die Millers). Auf internationalem Parkett erweist man ihnen alle Ehren. Wie dem Banker des Jahres. Business as usual.
Und – business wie überall. Der Einfachheit halber steht deshalb dem Nachbarland Deutschland ein Bundespräsident ins Haus, der nicht nur Nationalbank- sondern eine Art Weltbank-Präsident ist; den zwar keine Sau kennt, möglicherweise jedoch einige Schweine aus der Farm der Tiere eines gewissen Orwell, in der alle Schweine gleich, einige jedoch gleicher sind …