von Kurt Merkel
Am 15. Oktober begann vor dem Landgericht Bonn ein denkwürdiger Prozeß: Die ausschließlich zivilen Opfer des NATO-Luftangriffs auf die Brücke von Varvarin am 30. Mai 1999 klagen gegen die mitverantwortliche deutsche Regierung auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. In Bonn nun wurde die Klage angenommen, weil sich dort der Sitz des Bundesministeriums für Verteidigung befindet. Zuvor hatten die Kläger mehrere Ablehnungen ihres Versuchs einstecken müssen. Die NATO sei zuständig, einzelne Mitgliedsländer seien es hingegen nicht, hieß es da, oder auch: Deutsche Soldaten hätten im Krieg gegen Serbien nur geguckt, nicht aber gebombt.
Wie es der Zufall so will, werden just in diesen Tagen Entscheidungen getroffen oder vorbereitet, die mit dem Auftreten deutschen Militärs im Ausland zu tun haben. Zum einen hat der Bundestag nun zu befinden, ob die Zahl der in Afghanistan eingesetzten deutschen Soldaten bedeutend erhöht und ob diese Soldaten außer in Kabul auch in Kundus tätig werden sollen. Die Sicherheitsratsentscheidung, die diese Erweiterung des Auftrags zuvor beschließen mußte, kam auf der Grundlage eines deutschen Resolutionsentwurfs zustande, so groß also ist das Interesse der deutschen Politikerklasse an der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch. Zum anderen nutzt Peter Struck auch diesen Fall für den Versuch, die Entscheidungsmacht des Bundestags über militärische Einsätze auszuhöhlen: Besonders innerhalb der NATO seien schnelle Entscheidungen nötig, da könne man sich lange Entscheidungsfindungsprozesse – wie für die gewaltigen Einschnitte in die Sozialgesetzgebung – nicht leisten.
Das alles ist Anlaß genug, Ergebnisse der seit 1990 geführten Kriege erneut kritisch zu betrachten. In Jugoslawien ist in keinem Falle eine gefestigte multiethnische Gesellschaft geschaffen worden, Bosnien bleibt geteilt, im Kosovo hat eine serbische Minderheit kaum Überlebensmöglichkeiten, die Integrität Makedoniens wird immer wieder in Frage gestellt, Serbien wurde durch den faktischen Abfall Montenegros und des Kosovo erheblich geschwächt, wahrscheinlich war letzteres ein Hauptziel der Kriege. Die Gegner deutscher Beteiligung daran können sich heute nur bestätigt fühlen.
Aus dem Irak-Krieg konnte Deutschland bislang herausgehalten werden, die tatsächlichen Absichten, die die USA damit verfolgen und die eingetretene fatale Situation bedürfen kaum noch der Darstellung: Die terroristischen Elemente, die angeblich im Irak bekämpft werden sollten, sind nun, im Ergebnis des Krieges, tatsächlich da.
Nicht ohne Einfluß auf die Lage dort ist die Entwicklung des palästinensisch-israelischen Konflikts. Die israelische Regierung übernimmt erfolgreich die amerikanische Präventivschlags-Doktrin, tötet mit gezielten Angriffen palästinensische Persönlichkeiten – bei hohen Kollateralschäden –, zerstört ganze Straßenzüge in palästinensischen Siedlungen, setzt die Siedlungs- und Landnahmepolitik fort und hat nun sogar wieder ein Ziel in Syrien angegriffen – ohne auf den geschlossenen Protest des Sicherheitsrats zu stoßen.
Auch der deutsche Vertreter dort versagte die Zustimmung zu einem syrischen Resolutionsentwurf: Ohne Anklage der palästinensischen Selbstmordattentate sei die Verurteilung eines israelischen Angriffs auf dessen Nachbarland Syrien einseitig. Die USA legten noch eins drauf und verkündeten Boykottmaßnahmen gegen das angegriffene Land. Der anhaltende Widerstand gegen die Besatzung im Irak und die daraus hervorgehende ungeplant hohe militärische und finanzielle Belastung der USA scheinen im Moment der größte Schutz gegen eine Ausweitung des Krieges hin zu einer Umgestaltung der ganzen Region zu sein. Aber ob nicht im schon beginnenden Wahlkampf auch militärische Optionen überlegt werden könnten, ist gewiß eine offene Frage.
Anders als in Afghanistan, wo neben den vorwiegend amerikanischen Sondereinsatzkommandos, die ihren Krieg weiter führen, eben auch Deutsche eingesetzt sind, konnte deren Entsendung nach dem Irak bislang verhindert werden. Aber auch in Afghanistan haben sie nichts zu suchen. Die Herrschaft der Clanchefs über Land, Bevölkerung und den Drogenanbau und -handel besteht ungebrochen fort und wird auch nicht von 450 deutschen Soldaten in Frage gestellt werden.
Der Hannoveraner Kabarettist Dietrich Kittner stellte unlängst im Schöneberger Rathaus sein Programm Bürger hört die Skandale zur Unterstützung der Kläger aus Varvarin vor. Gegen Ende gab er folgendes zum besten: Da die Sowjetunion der restlichen Welt bekanntlich um eine ganze Epoche voraus war, bekämpfte sie in Afghanistan den Terrorismus schon, als die Amerikaner ihn noch finanzierten. Da sie gegen die Kraft der Amerikaner nicht ankamen, baten sie, wie jetzt von der Gauck-Behörde enthüllt wurde, um die Hilfe der DDR. Am Rande des entsprechenden Briefes findet sich der handschriftliche Eintrag »Nein! E.H.« So ist also letztlich die DDR verantwortlich dafür, daß der Krieg gegen den Terrorismus nicht gewonnen wurde. Sonst stünden die Türme von Manhattan noch immer. Empörend, so Kittner, sei vor allem, daß sich die PDS bis heute nicht dafür entschuldigt habe.
Keiner der Kriege in der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges hat beweisen können, daß militärische Aktionen zur Lösung von Konflikten beitragen könnten. Die oppositionellen Offiziere und Unteroffiziere des Darmstädter Signals erklärten in einer Pressemitteilung unter dem Titel Soldaten erwarten: Keine deutschen Soldaten in den Irak! Vom 10. September erneut: »Frieden und Gerechtigkeit mit Waffen erzwingen zu wollen ist eine gefährliche Illusion – dennoch scheint die US-Regierung daran festzuhalten, Krieg als geeignetes Mittel der Politik zu betrachten.«
Schlagwörter: Kurt Merkel