Des Blättchens 6. Jahrgang (VI), Berlin, 31. März 2003, Heft 7

Welche Ordnung hat die Welt?

von Kurt Merkel

Wie oft schon wurde über Gerhard Schröder gesagt, das Glück habe ihn verlassen. Mit seiner Gegnerschaft zum Irak-Krieg der Amerikaner war es ihm nicht nur nicht gelungen, den Verfall des Ansehens seiner Partei aufzuhalten, nein, befanden seine Gegner, er habe sich selbst isoliert und darüber hinaus ganz Deutschland gegen den Mainstream orientiert.
Aber plötzlich und für ihn selbst wohl unerwartet, fand er sich in einer Gruppe wieder von so unterschiedlich motivierten Staaten wie Frankreich und Rußland, denen sich auch noch China anschloß. Nun hatte er zwar keine Chance, darin die Führung zu übernehmen, obwohl er doch der Vorreiter gewesen war, Chirac zog diese Rolle sofort an sich, doch dürfte er darüber ganz glücklich sein. Und ihnen gemeinsam gelang das schier Unglaubliche: Die USA und ihre Verbündeten Großbritannien und Spanien mußten ihren Resolutionsentwurf aus dem Sicherheitsrat zurückziehen, da die Vetomächte Frankreich, Rußland und China nicht bereit waren, die USA und ihre Verbündeten zum Krieg zu ermächtigen. Nicht Schröder hatte sich isoliert, sondern Bush.
Nun findet der Krieg dennoch statt; aber die ihn führen und die sich an deren Seite stellen, mußten eine empfindliche moralische Schlappe einstecken. Lächerlich gemacht hat sich unter anderen die CDU-Chefin mit ihrer würdelosen und peinlichen Anbiederung. Alle Sympathie ist bei Leuten wie dem Labour-Fraktionsvorsitzenden im britischen Unterhaus, der nach seinem Rücktritt das Schluchzen nicht unterdrücken konnte. Korrigieren müssen sich nun alle – und ich tue das gern –, die gemeint hatten, die neue Weltordnung nach dem Ende der Bipolarität, die darin bestehe, daß die einzig zu globalem Handeln fähige Macht nun die Welt nach ihrem Bilde formt, sei mit dem Wüstensturm von 1991 etabliert worden und werde mit dem neuen Krieg endgültig gefestigt. Nein, die Herausbildung einer neuen Weltordnung wird ein längerer Prozeß sein, in dem zum Beispiel die drei jetzt opponierenden Vetomächte ihre eigenen Interessen verteidigen werden. Und es wird neu gefragt werden, wer die besseren Konzepte für die Lösung der tatsächlichen Probleme dieser Welt hat. Und die Rolle der UNO wird zu bewahren, und die der EU und der NATO Veränderungen unterworfen sein.
Nicht, daß sich da engelsgleiche Lichtgestalten gegen das Böse in Gestalt George W. Bushs zusammengetan hätten. Unter ihnen sind schließlich die, die den völkerrechtswidrigen NATO-Krieg gegen Serbien geführt haben, und die, die mit den Anti-Terror-Strategen kungeln, um ungestraft ihre jeweiligen inneren Gegner als Terroristen behandeln oder in ihren früheren Kolonien militärisch intervenieren zu können.
Aber die Unterschiedlichkeit von Interessen muß zumindest wieder zur Kenntnis genommen werden. Und daß das Akzeptieren einer unglaublichen Entwürdigung ihre Grenzen hat. Bush hat überzogen: fast tägliche Neubestimmung der Kriegsziele (Vernichtung des Bösen, Durchsetzung der Abrüstung, Entmachtung Saddams, Einführung der Demokratie im Irak), unverhüllte Ausübung von Zwang gegenüber dem UN-Generalsekretär und dem Sicherheitsrat (Behandlung des irakischen Abrüstungsberichts, Vorlage gefälschter Beweise), schließlich Beleidigung des engsten Verbündeten (wenn Blair zu Hause nicht klar komme, mache man es eben alleine).
Aber so, wie die USA noch nicht fertig sind mit der Durchsetzung ihrer Pax Americana, so unfertig ist die Selbstbefreiung der gegenwärtig Opponierenden. Dem beleidigenden Ultimatum Bushs, Saddam solle innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen, täte er es, marschierten die USA dennoch ein, setzte die andere Seite eine Sicherheitsratstagung entgegen, nicht um die Abberufung der Inspekteure zu verurteilen und die Kriegsdrohung der USA und die Verletzung der entmilitarisierten Zone zwischen Irak und Kuwait, sondern um die Kontrollaufgaben der nicht mehr vorhandenen Inspekteure zu überarbeiten.
Wie der Teufel das Weihwasser, so scheuen diese Gegner der Invasion des Irak die Invasion als das zu benennen, was sie ist: völkerrechtswidrig. Denn das zwänge sie, die Unterstützung der USA im Rahmen der sogenannten Bündnisverpflichtungen zu beenden, und sie müßten die Verletzung des Weltfriedens durch die USA im Sicherheitsrat verurteilen. Solange sie aber die Differenzen als Meinungsunterschiede darüber behandeln, ob die – fiktive – Aufgabe der Entwaffnung des Iraks mit oder ohne Gewaltanwendung durchzusetzen sei und ob die Resolution 1441 zur Anwendung von Gewalt ermächtige, solange bleibt der Aufstand gegen den Machtmonopolisten halbherzig und widerrufbar. Schon hat Chirac angekündigt, seine Kriegsabstinenz aufzugeben, falls der Irak Massenvernichtungswaffen einsetze. Und da könnte so manchem noch so manches einfallen.