von Kurt Merkel
Immer wieder geht irgendwer oder irgendetwas irgendwo fort und kommt irgendwann irgendwo an. Und daraus ergeben sich so Fragen. Tucholsky fragte bekanntlich, nachdem er in der Weimarer Verfassung gelesen hatte, die Macht gehe vom Volke aus: Aber wo geht sie hin? Und Brecht ließ seinen Mann Galy Gay von zu Hause weggehen, einen Fisch zu kaufen. Aber dann kam er wo an, wo er nie hingehen wollte, und da trug er eine Uniform.
Solcherlei Fragen spuken in meinem Hinterkopf herum, wenn ich immer wieder lese, die PDS sei noch nicht angekommen in der Wirklichkeit der Bundesrepublik – und das wird negativ bewertet und als Beleg dafür genommen, daß sie nicht regierungsfähig sei – oder die Grünen seien da endlich angekommen, wenn sie nun der Verlängerung des Mandats für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr zustimmen, nachdem eine beachtliche Anzahl von ihnen zunächst gegen den Einsatz gestimmt hatte – und das ist dann also positiv zu sehen. Und keiner fragt da, von wo PDS oder die Grünen einmal weggegangen sind und wo sie eigentlich hinwollten.
Wahrscheinlich ist es den Regierenden aufeinander folgender Parteien und Koalitionen – bleiben wir einmal bei den Auslandseinsätzen der Truppe – einfach gelungen, die Grundsatzentscheidung in so viele kleine Teilentscheidungen zu zerlegen, daß es schon eine gehörige Portion Aufmerksamkeit verlangt mitzukriegen, wo der Punkt ist, an dem alles umkippt. Das ist so wie in der Geschichte Galy Gays. Erst hilft er nur der Witwe Begbick, einen Korb zu tragen, was sollte dagegen sprechen, obwohl er sich von seinem Ziel, dem Fischkauf, schon ein wenig entfernt? Dann kauft er ihr eine Gurke ab, wo er doch eigentlich einen Fisch haben wollte, auch das ist sicher kein wirkliches Vergehen. Er raucht eine Zigarette mit den Soldaten und zieht deren Uniform an, nur um ihnen einen Gefallen zu tun. Da allerdings ist es schon um ihn geschehen, er ist angekommen.
Auslandseinsätze der Bundeswehr waren sehr lange kein Thema. Dann gingen Soldaten der Luftwaffe nur zu Übungsflügen in die Türkei und setzten sich später in die AWACS der NATO (das war der Korb der Witwe Begbick). Danach brauchten sie Unterstützung auf dem Boden (sie kauften die Gurke).
Nun kamen andernorts Sanitätssoldaten dazu (wer sollte etwas dagegen haben, eine Zigarette in Gesellschaft zu rauchen?). Aber schon hatten sie die richtigen Monturen angezogen und zogen von einem verfehlten Krieg in den anderen, von Bosnien nach dem Kosovo und nach Mazedonien, vor die Küste Somalias, nach Kuwait und nach Afghanistan. Die NATO veränderte unterdes ihre Strategie und machte Einsätze out of area zur vereinbarten Norm.
Aber noch immer blieb die Landesverteidigung die erklärte und einzige verfassungsgemäße Aufgabe der Bundeswehr, und der Kanzler verkündete, aus welchen Gründen auch immer, Deutschland nehme daher an den geplanten amerikanischen Abenteuern nicht teil. Da nun kam die Stunde des Herrn Struck. Mit seiner bekannten, leicht beleidigt wirkenden Miene und mit verhaltener, cooler Stimme sagte er vor den Kameras so ganz nebenbei, die Aufgabe der klassischen Landesverteidigung gäbe es in der jetzigen Lage nicht mehr, dagegen seien die deutschen Interessen nun andernorts, zum Beispiel am Hindukusch zu verteidigen. Galy Gay gegen Ende: »Und ich will zuerst schießen. Da hält was auf, das muß doch weg. Man kann doch nicht die vielen Herren hier warten lassen … die Schlacht beginnt, und schon fühle ich den Wunsch, meine Zähne zu graben in den Hals des Feindes.«
Wo ist da, außer der anderen Größenordnung, noch ein Unterschied zwischen Galy Strucks Verteidigung der deutschen Nation am Hindukusch und der amerikanischen Bereitschaft, die strategischen politischen und ökonomischen Interessen der leading nation und ihre diese Interessen reflektierenden Werte weltweit durchzusetzen.
Und zunächst mal geht es darum, dem Saddam aufs Maul zu hauen, mögen die UN-Inspektoren berichten, was sie wollen. Was ist schließlich ein Bericht gegen den bislang größten militärischen Aufmarsch in Nahost. Und was ist ein Kanzlerwort gegen die mit Panzern in Kuwait, den Überflugsrechten für die amerikanischen Flugzeuge (die von in Deutschland gelegenen Basen starten werden), den Sondereinsatzgruppen in Afghanistan und den Schiffen am Horn von Afrika längst begonnene deutsche Teilnahme am großen Abenteuer.
Bushs Amerika ist dabei, die nach 1945 entstandene Ordnung »vereinter Nationen« aufzuheben und zur offenen Gewaltpolitik zurückzukehren. Und Struck sagt: Teutschland ist angekommen.
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