Des Blättchens 5. Jahrgang (V), Berlin, 19. August 2002, Heft 17

Vaterverrat

von Gerhard Zwerenz

Krieg sei kein legitimes Mittel der Politik, sagte die PDS-Abgeordnete Heidi Lippmann am 5. Juli 2002 im Bundestag, und Winfried Nachtwei von Bündnis 90/Die Grünen gefiel sich während ihrer Rede in 13 sauren Zwischenrufen. Vor vier Jahren erlebte ich Nachtwei im Bundestag noch als erklärten Kriegsgegner. Neben ihm und Angelika Beer saß ich im Verteidigungsausschuß. Graf Einsiedel und ich stimmten für die PDS meist gemeinsam mit den Grünen gegen den Rest des Hauses.
Wie wurden Beer und Nachtwei von Kriegsgegnern zu Kriegsfreunden? Muß Regieren immer moralischer Selbstmord sein? Die Grünen als faules Endprodukt der 68er langten über allerhand Strömungen (SDS/ RAF/K-Gruppen/DKP/Spontis und so weiter) bei der SPD an. Die war schon seit 1914 wohnhaft im Sumpf. Wenn Rot/Grün heute der PDS außenpolitische, das heißt militärische Unfähigkeit zur Koalition mit ihnen vorwirft, so ist das goldrichtig. Die Rückverwandlung Schröders und Fischers vom Juso und Sponti in beflissene Allerweltskrieger ist Vaterverrat, wie er mit dem Soldatengrab des Schröderschen Erzeugers in Rumänien sichtbar und exemplarisch wurde. Wer als deutscher Linker mit zwei Weltkriegen im Marschgepäck Soldaten zu »Kampfeinsätzen« ins Ausland schickt, handelt erstens grundgesetzwidrig und zweitens erfahrungsresistent. Hoffentlich wertet die PDS die Ablehnung einer Koalition von seiten der anderen als Bestätigung des eigenen Antikriegskurses. Unter jetzigen Umständen bleibt der kleinen PDS im Bund nur die autonome Opposition. Dazu muß sie selbst vitaler, klüger, phantasievoller, also wahrhaft autonom werden. Man stelle sich den nächsten Bundestag einmal mit und einmal ohne PDS vor. Die Differenz wäre beachtlich. Ohne PDS gliche der Bundestag dem Burgfriedensreichstag von 1914 vor der Ablehnung der Kriegskredite durch Karl Liebknecht. Vom Reichstag anno 1933 nicht zu reden, als die SPD sich mit den Ermächtigungsgesetzen abservieren ließ und die Kommunisten längst eingesperrt und gefoltert wurden. Ein Bundestag ohne PDS wäre die nein-stimmenlose Beteiligung Deutschlands an den amerikanischen Kriegen gegen Völkerrecht, Vernunft und jegliche Friedensanstrengung. Ob Schröder oder Stoiber, keiner ist die Alternative zu den Angriffskriegern der USA. Die Großväter und Väter der heutigen US-Helden verurteilten die Nazi-Führer in Nürnberg noch zum Tode wegen des Angriffskriegs, der seit dem Briand-Kellogg-Pakt vom 27. August 1928 verboten und verdammt ist.
Es wäre jammerschade, flöge die PDS mit nur drei Prozent Stimmen, wie einige Meinungsbefrager ihr prophezeien, aus dem Parlament, statt mit sechs Prozent, die andere ihr voraussagen, weiter Stachel im faulen Fleisch zu bleiben.
Die Schröder-Stoiber-Rechnung sieht freilich sehr nüchtern aus. Wer sich den US-Kriegern verweigern wollte, zählte schnell zu den Schurken (-Staaten). Wer will schon aufrecht, aber tot enden wie Allende. Oder abgetrieben werden wie Gorbatschow. Sollen Schröder/Stoiber etwa widerständige Kriegsverweigerer sein? Weiße wie rote Rosen sind längst verwelkt. Also wird es demnächst dem Irak an den Kragen gehen. Mit deutscher Beihilfe.
Das ist nicht schwer. Das Land ist geschwächt, die Ölquellen locken, danach marschiert man munter weiter gegen Iran, Nordkorea, Kuba und alle, die sich nicht freiwillig zur Schnecke machen lassen. Sind die Schlachten aber geschlagen, verlustlos infolge Übermacht, stehen die Verbündeten Wache. Das nun hat einen Haken. Ziehen unserer Friedenssoldaten vom Balkan und aus Afghanistan ab, ist’s dort schon Essig mit dem Frieden. So auch in den künftig zu besiegenden Ländern Irak, Nordkorea, Kuba und so fort. Wird da die eine Bundeswehrdivision, die Stoiber zusätzlich aufzustellen verspricht, ausreichen? Wird nicht vielmehr eine Wehrmacht mit 300 Divisionen gebraucht?
In Rußland wetterleuchtet es von Königsberg bis zum Kaukasus, allüberall setzt es Krisen und Kriege. Wieviel Militär brauchen wir für die Wacht vom Wolgastrand bis in die Karibik und zum Chinesischen Meer, von Afrika nicht zu reden, wo wir ja schon mit dem Hauptteil unserer stolzen Bundesmarine wassern?
Auf das und noch viel mehr wissen unsere regierenden Obrigkeiten von Washington, London und Berlin keine Antwort. Es soll eben draufgehauen werden, und wer kritisch nachfragt, zählt zu den Feinden. Der deutsche Soldat jedoch gehorcht genauso treu wie der deutsche Politiker, sei er Regierung oder Opposition, welches Wechselspiel ohne Ende läuft. Wie könnte eine PDS, die auf sich hält, in diesem Karussell der Höllenfahrten mithalten? Dies eben macht sie für einen Linken, der keinen Vaterverrat begehen will, zur wählbaren Alternative. Hoffentlich weiß die PDS das.
Da zog die SPD nun den heißen Wahlkampf zeitlich vor. Bundeskanzler samt Außenminister rückten plötzlich vom US-Krieg gegen den Irak ab, und schon gibt sogar Stoiber Friedenstöne von sich. Lasse sich keiner täuschen. Das ist Dummenfang. Nach der Wahl marschieren, panzern und bomben sie wieder mit. Die PDS bleibt die einzige Antikriegspartei. Hoffentlich vergißt sie das nicht.