von Thomas Falkner
Eine Kanzlerkandidatur ist eine Prüfung ohne Gnade. Auch für Edmund Stoiber wird der Schritt aus der Landes- in die Bundes- und Weltpolitik immens schwer. Dazu kommt: Eine bayerische Staatspartei zu erneuern und zu führen, das ist das eine. Eine moderne Mittelmacht und die noch immer stärkste Volkswirtschaft Europas als Kanzler zu führen, ist etwas ganz anderes. Wir haben es schon erlebt, wie schnell der bayerische Machtmensch ins Straucheln kam.
Damit ist nicht gesagt, daß Schröder bei seiner zweiten Prüfung als Kanzlerkandidat besser abschneidet. Die »ruhige Hand« und die »uneingeschränkte Solidarität« waren nicht gerade Markenzeichen eines weisen Staatslenkers oder großen Staatsmannes – auch das wankende Zögern in der aktuellen Irak-Krise nicht. Die Ruhigstellung der SPD-Basis nach der Ausschaltung Lafontaines hat ebenso wenig mit produktiver politischer Führungskraft zu tun wie die Malaise des Bündnisses für Arbeit oder der desolate Zustand von Kabinett und Koalition.
Es wird ein über weite Strecken deprimierendes Rennen zwischen den beiden Kandidaten geben. Mit dem Duell Schmidt – Strauß von 1980 hat dies wenig zu tun. Während die Politik gleich eingangs auf Polarisierung setzte, sprachen die Leitartikler unverzüglich vom bereits begonnenen Wahlkampf um die Mitte.
Was wird kommen? Beides ist noch nicht wirklich Konzept, sondern mehr Reflex auf Verhältnisse der alten Bundesrepublik: Die Mobilisierbarkeit des protestantischen Nordens und der Linken und linken Liberalen gegen Bayern und die CSU einerseits, die Erkenntnis andererseits, daß in der Bundesrepublik Wahlkämpfe noch immer in der Mitte entschieden wurden.
Die SPD wird immer wieder verleitet sein, Stoiber als den Untergang Deutschlands, als einen Rückfall in die Barbarei darzustellen. Das zielt auf Ressentiments, auf Disziplinierung der eigenen Klientel, auf Verdrängung von Sachpolitik und realer Bilanz, setzt auf die alte Geschichte vom »kleineren Übel«. Es ist die eigentliche Polarisierung, es ist wenig aufklärerisch, es ist defensiv.
Stoiber wird versuchen, der bessere – also: der erfolgreichere – Schröder zu sein. Auch, indem er den »eigentlichen« Schröder als den Schröder ohne die »grünen« und gewerkschaftlichen Themen darstellt. (Schröder selbst hat dafür schließlich nach den Wahlniederlagen 1999 immer wieder die Vorlage geliefert.) Das ist nah am tatsächlich ja auch vorhandenen reaktionären Gehalt der Figur Stoiber: Niedriglohnjobs allüberall, Öko-Steuer weg, Mitbestimmung zurück, Staatsbürgerschaftsrecht weg, harte Linie in Sachen Zuwanderung, stramm auf Fleiß, Leistungsbereitschaft und Disziplin drängend.
Ja, sicher: Im »Kampf um die Mitte« ist der Unionskandidat in all diesen Fragen auch schon mal zurück gerudert. Aber was bedeutet das? Einstweilen ist der rechte Kauz Norbert Geis in die Spur gegangen, neben der Stoiber derzeit argumentiert. Er verteidigt dessen einstiges Unwort von der »durchrassten Gesellschaft«; er beschimpft in einem wohl formulierten Grundsatztext Homosexualität als »Perversion« und »Zeichen von Schwachsinn«, wogegen endlich »in der Öffentlichkeit Widerspruch laut werden« müsse.
Volker Beck hat recht, wenn er sagt, die zweite Reihe zeige nun den rechten Wählern, »dass der Weg in die Mitte nicht ernst gemeint ist«. Aber hat deswegen auch Günter Grass recht, wenn er Stoiber mit Haider und Berlusconi auf eine Stufe stellt? »Natürlich ist Stoiber im klassischen Sinn auch ›rechts‹ – aber nicht nur«, schreibt die eher nicht Stoiber-freundliche Süddeutsche Zeitung. »Es gibt neben dem ›Bierzelt-Stoiber‹ sogar den ›Antifa-Stoiber‹, der mit der unseligen Tradition seiner Vorgänger gebrochen hat, um die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau einen weiten Bogen zu machen. … Stoiber und sein Innenminister Günther Beckstein bringen mit ihrem ›Null-Toleranz‹-Gerede liberale Geister in Aufruhr, können aber darauf verweisen, daß Asylbewerber und Ausländer in Bayern hohe Sicherheit vorfinden. Das Land hat mit Sonderleistungen mehr Balkan-Flüchtlinge aufgenommen als anteilig andere Bundesländer. … Der CSU ist es aber auch gelungen, in Bayern seit 1968 jede rechtsradikale Partei vom Landtag fern zu halten.«
Andererseits: Mit seinen ersten Einlassungen zur Außen- und Sicherheitspolitik hat Stoiber einen harten Imagebruch vollzogen – vom betont deutschen Populisten, der er noch in der Euro-Frage war, zum knallharten Atlantiker. Stramme Gefolgschaft statt uneingeschränkte, gelegentlich gar kritische Solidarität mit den USA – das ist seine Devise im Kampf um den Machtwechsel: »Ich fordere Schröder und Fischer auf, in der Irak-Politik eine gemeinsame Allianz der Europäer mit den USA zu schmieden und nicht durch weitere öffentliche Kritik die Kluft zwischen Europäern und Amerikanern zu vergrößern«. Basta.
Stoiber – er ist eine schillernde Figur. Seine Ambivalenz macht beides – Polarisierung und Wahlkampf um die Mitte – gleichermaßen möglich wie unmöglich.
Natürlich, es wird um die Mitte gehen. Aber nicht um eine abstrakte oder »ideologische« Neue Mitte wie 1998, sondern um eine »Mitte für alle«, die Mitte als Lebensgefühl, wie Schröder sagt. Aber durchaus auch konkret: Was sind Platz, Möglichkeiten, auch Aufgaben Deutschlands unter den neuen Bedingungen des neuen Jahrzehnts: Flaute der Weltwirtschaft, wirtschaftliche und militärische Folgen des 11. September 2001, Euro und EU-(Ost-)Erweiterung, Innere Sicherheit, Zuwanderung, AusländerInnen-Integration – und immer dazu: die Arbeitslosigkeit.
Gekämpft wird – so wie beide Kandidaten gestrickt sind – entlang dieser Themen um die Mitte im Westen. Zumindest wird das so empfunden werden – auch und vielleicht gerade dann, wenn beide besonders engagiert über den Osten reden.
Ein solcher Wahlkampf läßt die Mitte im Osten frei. Anders gesagt: Die PDS hat alle Chancen, die Mitte im Osten zu gewinnen, weil sich die beiden anderen Volksparteien um die Mitte im Westen prügeln. Und mit zwei Wirtschaftsministern im Osten – darunter auch noch ein Gregor Gysi – kann sie in einem Wirtschaftswahlkampf, der als ständige Attacke auf die SPD-geführte Bundesregierung zelebriert wird, sogar noch dort Punkte machen, wo wahrlich nicht ihre Kern-Images liegen.
So werden wir letzten Endes doch einen polarisierten Wahlkampf bekommen – weniger wegen der Inhalte, mehr wegen der Images und alter Vorurteile (Nord gegen Süd, Ost gegen West). Das wird Schröder im Westen in der Mitte helfen; im Osten hilft es der PDS. Die FDP rechnet sich viel aus, wird aber nicht so viel gewinnen. Hauptsächlich gefährdet sind die Grünen, denn sie sind weder die neue FDP geworden, noch sind sie ein linkes Korrektiv.
So wird zum ernsten Gegenstand der Debatte, was eigentlich keiner will: Rot-Rot-Grün oder gar Rot-Rot auf Bundesebene. Nach dem ersten Anlauf Anfang Februar haben die Spitzen aller Parteien jegliche Gedankenspiele dieser Art verboten. Doch mit Verboten erwehrt man sich nur in der ideologischen Welt der Logik des politischen Lebens. In der Wirklichkeit geht das nicht: Hier muß man eine Idee und eine Strategie haben – oder man wird überrollt. Und auch das gilt für alle.
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