von Wolfgang Sabath
Operation gelungen – Patient tot: Denn der 16. November 2001 hat alle Chancen, als der Tag in der deutschen Parteien- und Parlamentsgeschichte einzugehen, der nicht nur den Anfang vom Ende der Koalition zwischen Sozialdemokraten und Bündnisgrünen markiert, sondern auch das parlamentarische Aus für letztere. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Doch wie sollte ein derartiges Wunder aussehen, wer sollte es organisieren?
Macht – und Regierungsmacht allemal – folgt Gesetzmäßigkeiten, Ritualen und Zwängen, das muß wissen, wer sich mit ihr einläßt. Und auch der Zuschauer – sprich: Bürger – sollte darauf vorbereitet sein. Doch die Bundestagsdebatte um die Frage, ob Deutschland endlich, endlich wieder mitmarschieren darf und der Schröderkanzler weiter regieren darf, offenbarte ein dermaßen horrendes Maß an schmierenkomödiantischer Peinlichkeit, das alles Gewohnte überschritt und zu Übelkeit führte.
Nein, die schon machterfahrenen Sozen und die gleichermaßen mit langjähriger Erfahrung ausgestatteten Christdemokraten verhielten sich und redeten so, wie es im Kanon der parlamentarischen Demokratie hierzulande vorgesehen ist. Das kennen Deutschlands Wähler und Nichtwähler seit einem guten Halbjahrhundert. Sie haben sich daran gewöhnt, und sie sind daran mal mehr und mal weniger interessiert. Sie kennen das Spiel. Und was sie davon halten, bekunden sie dann alle vier Jahre durch ihr Wahlverhalten beziehungsweise dadurch, daß sie nicht wählen gehen. Die Großparteien spielten auch am 16. November 2001 ihren vertrauten Part.
Anders die Parvenüs. Sie, die einst Maos Rotem Büchlein gefolgt waren oder sich im KBW oder artverwandten Zusammenschlüssen durch das Studium Gesammelter Werke auf die Weltrevolution oder ähnlich schicke Events vorbereitet hatten und später Begründer und Mitbegründer einer Umweltbewegung wurden, die sich nicht auf die Suche nach der Blauen Blume begab, sondern sich auch als soziale Bewegung verstand – sie haben als Juniorpartner der Schröderschen Sozialdemokratie an der Macht schnüffeln dürfen; und dieses Schnüffeln ist ihnen gründlich nicht bekommen.
Dieses kleine Stückchen Teilhabe hat sie süchtig gemacht, und sie möchten nicht mehr davon lassen. Und das war ihnen sogar – diese Schandtat gehörte geradezu in die Schulbücher! – die Zustimmung zu deutscher Beteiligung an einem Krieg wert.
Insbesondere das »Verantwortungs«-Gesaftel der Grünen-Damenriege Kerstin Müller, Claudia Roth und Angelika Behr vor Rundfunkmikrofonen und Fernsehkameras war an diesem Tage schier unerträglich. Deutschland hat eine neue Umfallerpartei. Die F.D.P. hat dieses Privileg kampflos an die Bündnisgrünen abgegeben.
Es spielt heute in der öffentlichen Wahrnehmung zwar kaum noch eine Rolle; aber bekanntlich ist die einstige DDR-Bürgerrechtsbewegung Bündnis 90 Teil dieser Partei, die wir die Bündnisgrünen heißen. Dabei handelt es sich um Leute, man möchte es ja heute kaum noch glauben …, die schon einmal Bürgermut vor Königsthronen bewiesen hatten. Und zwar unter Bedingungen, die für derartige Gelüste, um es mal salopp auszudrücken, nun nicht gerade sonderlich günstig waren.
So durfte man also darauf gespannt sein, wie sich die einstigen Dissis aus der DDR in dieser Situation äußern und wie sie sich verhalten würden. Immerhin – erinnern wir uns richtig? – hatten viele von ihnen ihre DDR-Renitenz in Friedenskreisen und –gruppen artikuliert, hatten mutig Schwerter zu Pflugscharen an ihre Parker geheftet. Und sie hatten auf Elternversammlungen gegen Spielzeugsoldaten in Kindergärten angeredet und Klassenlehrer und Schuldirektoren zur Weißglut gebracht, indem sie gegen den Wehrkundeunterricht oder das jährliche GST-Lager protestierten. Oft mit Folgen. Was also würde von diesen Friedmutigen, von denen es ja etliche auch in den Bundestag geschafft haben, an diesem 16. November 2001 zu hören sein?
Wenig bis nichts. Und auch das noch in einer Art und Weise, daß man sich fragte, ob das wirklich jene waren, die zu den friedfertigen Kerzen-Trägern gehört hatten. Beispiel: Als Gregor Gysi seine Rede beendet hatte, nutzte der Abgeordnete Schulz-Pankow, von dem lange nichts zu hören gewesen war, die Gunst der Stunde (es war übrigens just auch der Tag, an dem der bekannte Pankower Friedenskreis sein zwanzigjähriges Jubiläum einläutete). Werner Schulz hatte die originelle Idee, Gregor Gysi einen Vogel zu zeigen, und machte dann in einer Art Gegenrede den PDS-Abgeordneten auf nicht weniger originelle Weise darauf aufmerksam, daß die SED zur sowjetischen Afghanistanpolitik geschwiegen habe … – wir kennen die Melodie, wir kennen die Herren Verfasser. Auf Gysis Replik, der allseits gefeierte Gorbatschow sei viele Jahre für diesen Krieg verantwortlich gewesen, wurde selbstredend dann nicht reagiert. Kurzum: Auch den Kerzenträgern ist ein Kriegsverzicht nicht so viel wert, als daß sie auf Pöstchen und Mandate verzichten würden.
Doch aus dem Schneider sind sie nicht. Denn wenn es die Grünen bei der nächsten Bundestagswahl noch einmal ins Parlament schaffen sollen, müßten die Wähler noch vergeßlicher sein, als wir es von ihnen gewohnt sind. Der 16. November 2001 könnte für die Grünen der letzte Nagel gewesen sein.
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