von Kurt Merkel
Die Identität des einen bestimmt man bekanntlich am einfachsten dadurch, daß man sie von der eines anderen abhebt. Die Differenz ist nicht gut oder schlecht, schön oder häßlich, man muß mit ihr umgehen. Unterschiede zwischen Nachbarn, die verschiedenen Nationalitäten angehören, sind nicht von Natur aus kompliziert, aber sie eignen sich dafür, angestaute Probleme in komplizierten Situationen auf sie zu projizieren. Die sich daraus ergebende Fragilität wird auch nicht durch langjähriges friedliches Zusammenleben aufgehoben, die Ruhe kann jederzeit beendet werden. Jede machtgierige Clique ist in der Lage, durch das Aufstellen nationalistischer Losungen Probleme ganz anderer Natur in solche zwischen den Nationen zu transformieren und die Angehörigen der eigenen nationalen Gruppe gegen deren Interessen ihrem Machtstreben unterzuordnen.
Und das macht die Beziehungen zwischen Nationen für wiederum ganz andere Interessen verwendbar. Das koloniale Prinzip des »Teile und herrsche!« beruhte auf solcher Nutzung von Widersprüchen zwischen Völkern, Nationen und Gruppen. Der Balkankonflikt in seiner heutigen Ausprägung sollte auch unter diesem Aspekt seiner Nutzung durch andere Interessen betrachtet werden.
Da hatte es nach all den jahrhundertelangen Querelen eine scheinbare Lösung der nationalen Fragen unter dem Dach des Titoschen Sozialismus gegeben. Als der zusammen mit den anderen Sozialismen zusammenbrach, entstand die Notwendigkeit zu einer Neuorientierung. Die Schuld an den daraus hervorgegangenen Problemen wird, völlig zu Recht, denen zugewiesen, die in dieser Situation ihre jeweiligen nationalistischen Süppchen kochten. Und sie alle kochten Menschenfleisch, und ihnen allen gelang es, die Angehörigen ihrer jeweiligen Gruppe dazu zu bewegen, kräftig mitzulöffeln. Und so scheint es normal, daß die NATO, die sich in solchen Situationen gern verschämt »die internationale Gemeinschaft« nennt, mit dem verkündeten Ziel eingriff, die Vertreibungen zu stoppen und die Schuldigen am Völkermord vor ein internationales Gericht zu bringen. Die ersten Schuldigen stehen nun in Den Haag vor ihren Richtern. Das klingt wie eine Erfolgsstory. Wären da nicht so viele Fragen.
Da ist zuerst festzustellen, daß nun, außer vielleicht in Mazedonien, kaum noch jemand zu vertreiben ist, das ist also entgegen dem verkündeten Ziel gelaufen.
Dann ist da dieses Gericht. Indem die USA sich so hartnäckig sträuben, über das Jugoslawien-Tribunal hinaus ein allgemeines Tribunal zur Verfolgung von Völkermord zu schaffen, machen sie unwiderlegbar klar, daß sie nur an der Verfolgung von ihnen ausgewählter Verbrechen interessiert sind, also an einem Instrument ihrer Politik.
Und dann ist da die ganze Geschichte der Anerkennung der neu entstandenen Balkanstaaten. Zunächst wurde Slowenien aus dem unvermeidlich folgenden Gerangel herausgerissen, unvermeidlich, weil die Grenzen der alten jugoslawischen Teilrepubliken nicht die Grenzen zwischen in Jugoslawien siedelnden Völkern waren. Dann gab man Kroatien die Chance, sich seiner Serben zu entledigen. Dann wurde die Scheinlösung Bosnien ermöglicht, in deren Rahmen die Separierung der Nationalitäten aber fortgesetzt wurde. Und schließlich wurden die Albaner des Kosovo zur Landarmee der NATO gemacht, die, nachdem sie die Serben dort weitgehend vertrieben haben, nun slawenfreie Gebiete in Mazedonien schaffen wollen. In Mazedonien, das bis dahin von derselben »internationalen Gemeinschaft« als Muster des Zusammenlebens verschiedener Völkerschaften gepriesen worden war.
Was also soll das alles? Die Separierung der Ethnien wurde vom Westen nicht behindert, sondern gefördert. Slowenien und Kroatien werden an den Westen herangezogen. Serbien und Mazedonien werden in eine Position manipuliert, in der sie unfähig zum selbständigen Handeln und abhängig von den Geldüberweisungen des Westens werden. Von einer Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimat ist zwar die Rede, aber sie findet nicht statt. Was also ist das wirkliche Ziel des Westens?
Zuvor noch ein Wort zur bis heute fortgesetzten Nutzung der albanischen Terroristen, hinter der gewiß keine pro-albanische Politik steht. Das ist das alte Spiel mit extremistischen oder schlicht kriminellen Gruppen zur Kontrolle als gefährlich verstandener politischer Gegner. So wurden RENAMO in Mozambik, UNITA in Angola aufgebaut, so wurde Hamas gegen die Fatah unterstützt, Saddam Hussein gegen den Iran. Natürlich ist damit die Gefahr verbunden, daß die so Geförderten zu stark werden und eigene Ziele verfolgen, wie Saddam es tat. Dann muß man eine Falle stellen, mit deren Hilfe sie dann wieder gezähmt werden können, wie im Golfkrieg hinsichtlich Saddams geschehen. Wir werden sehen, wie die albanischen Gangs, nachdem sie ihre Aufgabe verrichtet haben, wieder in die Schranken verwiesen werden.
Aber nun zum Ziel des Westens. Ich kenne keine andere, alle Aspekte berücksichtigende Beschreibung der Vorgänge als die von Huntington, ja gewiß, ich meine den Kampf der Kulturen-Huntington. Er beschwor die Führer der westlichen Welt, vor allem der USA, zu begreifen, daß es neben dem westlichen weitere Kulturkreise mit jeweils eigenen Zentren gibt, die im Selbstinteresse des Westens anzuerkennen seien. Im Sinne dieser Doktrin liegen die Einbeziehung der »katholischen« Staaten Slowenien und Kroatien in den Westen ebenso wie die Anerkennung der Zugehörigkeit der »slawisch-orthodoxen« Staaten Serbien und Mazedonien zum von Rußland bestimmten Kulturkreis nach gewaltsamer Beschränkung deren Handlungsfähigkeit. Und selbst die Funktion der bosnisch- und albanisch-muslimischen Gebilde findet da ihre Erklärung. Wegen des Fehlens eines allgemein anerkannten muslimischen Zentrums muß der Westen die Förderung deren auf die Herausbildung eigener Staaten gerichteten Interessen übernehmen, einmal, um, wie schon dargestellt, die anderen Kräfte zu beschränken und um der Gefahr zu begegnen, sie völlig der Führung durch die muslimisch-fundamentalistischen Mächte auszuliefern.
Das klare Bekenntnis des Westens zu dieser offensichtlich von ihm befolgten Doktrin seiner Machtpolitik brächte nur die Schwierigkeit mit sich, bei der Verteidigung des NATO-Kriegs gegen Serbien, des politischen Drucks auf Mazedonien, der Unterstützung der albanischen Guerilla und der Weiterführung der ethnischen Separierung auf das allgemeine Geschwafel von Verteidigung der Menschenrechte durch die »internationale Gemeinschaft« zu verzichten. Und da sähe man nicht so sehr gut aus.
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