Des Blättchens 4. Jahrgang (IV), Berlin, 5. Februar 2001, Heft 3

Soldaten sind Menschen

von Karsten Krampitz

Die Bundeswehr ist bekanntermaßen ein Hort für Recht und Ordnung. Doch gelten für sie auch die Grundrechte? Dieser Tage klagte die Truppe vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Anlaß ist die Störung der Rekrutenvereidigung am 20. Juli 1999 vor dem Bendlerblock in Berlin.
Mit angeblich gefälschten Eintrittskarten war es fünfzehn Demonstranten gelungen, für einen kurzen Moment Unruhe in das »Öffentliche Gelöbnis« zu bringen. Was daran lag, daß die Jugendlichen bunt bemalte Gesichter hatten und Regenschirme mit der Aufschrift »Tucholsky hat Recht«, eine Anspielung auf das Zitat: »Soldaten sind Mörder«. Hinzu kam, daß manche der jungen Frauen unter ihnen mit nicht mehr als einem Slip bekleidet waren. Aufmerksame Feldjäger setzten dem bizarren Treiben umgehend ein Ende. Ein fleißiger Feldwebel verhinderte gar, daß die Flagge heruntergerissen wurde. Die eingeladene Öffentlichkeit zeigte sich bestürzt, applaudierte dem Kanzler, als der einen Regenschirm aufhob. Die Ordnung war wieder hergestellt. Ein Teil der Presse aber frohlockte, daß in diesem Sommer eine Handvoll linker Aktivisten »den Ruf der Hauptstadt Berlin als eines auch politisch heißen Pflasters rettete« (FAZ).
Das aber ist lange her. Seitdem ist einiges an Wasser die Spree hinunter geflossen. So viel, daß der Tatbestand »Belästigung der Allgemeinheit« – aus früheren Gesetzbüchern als »Grober Unfug« bekannt – seit Februar letzten Jahres verjährt war. Daher begnügte sich die ausgeschlafene Staatsanwaltschaft damit, den ersten beiden Angeklagten, Katja Jana und Thomas Janoschka, »Störung einer öffentlichen Versammlung« vorzuwerfen. Dabei glaubte sie sich auf den Paragraphen 21 des Versammlungsgesetzes stützen zu können.
Während die Beschuldigten nun von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machten, redeten die Zeugen der Anklage um so mehr. Einer der Feldjäger meinte etwa, er fühlte sich in seinem »sittlichen Empfinden« verletzt. Ein anderer Soldat wußte zu berichten, daß ihn Schröders Leibwächter abgehalten hätten, einen Regenschirm aufzuheben. Der Kanzler wolle das machen, hieß es. Nicht nur an Janoschka, auch an die Frau könne man sich sehr gut erinnern, obwohl sie heute eine andere Haarfarbe hat und damals keinen Ausweis bei sich trug.
Noch im Vorfeld der Verhandlung sah es so aus, als würde hier kurzer Prozeß gemacht. Die Beweislage, Unmengen an Foto- und Videomaterial, schien eindeutig. Die »Störer« waren identifiziert. Nur gehört zu einer jeden Versammlung, die es nach Paragraph 21 von Staatswegen zu schützen gilt, eine ordnungsgemäße Anmeldung.
»Es ist nichts angemeldet worden, was man strafbar stören könnte«, so Verteidiger Stephan Schrage vor Gericht. Die überraschte Staatsanwaltschaft hielt dagegen, daß allein die Anwesenheit von Kanzler und Verteidigungsminister aus dem Gelöbnis einen Staatsakt gemacht hätte, und der sei selbstverständlich eine Versammlung gewesen. Die fehlende Anmeldung stelle lediglich eine Ordnungswidrigkeit dar.
Darauf vom Gericht angesprochen, bekannte der Zeuge Major Restel freimütig: »Ich muß dazu sagen, daß ich ein wenig senil bin.« Als Kommandeur der Feldjäger verwies er auf die Sondergenehmigung des Bezirksamtes Tiergarten zur Straßennutzung. Für ein Straßenfest hätte die sicher auch gereicht, aber für eine Versammlung? Hierfür ist gewöhnlich der ordnungsbehördliche Staatsschutz zuständig. So war nach Ansicht der Verteidigung die Bundeswehr bei der Vorbereitung ihres Festakts nicht von einer Versammlung ausgegangen. Abgesehen davon habe eine solche immer etwas mit freiwilliger Teilnahme zu tun. Die Wehrpflichtigen aber wurden eingezogen, nicht eingeladen.
Das Gericht hatte also vor allem zu prüfen, ob staatliche Institutionen überhaupt für sich das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Anspruch nehmen können. Für Wolf Dieter Narr, Politik-Professor an der Freien Universität Berlin, ein »verfassungsrechtlicher Skandal«. Dieses Grundrecht soll den Bürger vor dem Staat schützen und nicht umgekehrt. Und mal ganz ehrlich: Selbst ein frisch verliebter Sozialdemokrat, der keine Ahnung von Uranproben hat, kann die »Staatsbürger in Uniform« nicht so miserabel anführen, als daß sie eines solchen Schutzes bedürften.
Die Richterin Ute Räcke folgte letzten Endes der Argumentation der Verteidigung, daß es sich beim Versammlungsrecht um ein klassisches »Abwehrrecht der Bürger« gegenüber staatlicher Einflußnahme handelt. Der Freispruch in diesem Punkt hielt sie jedoch nicht davon ab, den 25jährigen Janoschka zumindest wegen »Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte« zu einer Geldstrafe von 750 Mark zu verurteilen. Zu Unrecht, wie die Verteidigung meint und eine Berufung dagegen nicht ausschließen will.
Wieder deutet einiges auf einen gesunden Schlaf bei der Bundeswehr hin. Die Feldjäger, die sich beim Gelöbnis Janoschkas angenommen hatten – der nach einem Gerangel im Publikum auf dem Boden der Tribüne gelegen und »Keine Gewalt!« gerufen haben soll –, besaßen möglicherweise gar kein Hausrecht. Denn das Grundstück, auf dem die Zeremonie stattfand, gehört dem Land Berlin und fällt somit nicht in die Zuständigkeit des Bezirksamtes Tiergarten. Auch in diesem Fall sind wichtige Formalien außer acht gelassen worden.
Wie auch immer, eines steht fest, das aber hat Tucholsky nicht geschrieben: Soldaten sind vergeßlich.