Des Blättchens 3. Jahrgang (III), Berlin, 26. Juni 2000, Heft 13

Zauberer und Lehrlinge

von Arndt Hopfmann

Die bundesdeutsche Politik erinnert in diesen Tagen – mehr oder weniger unfreiwillig, aber immer öfter – an Goethes berühmte Ballade Der Zauberlehrling. Anfangs, als sich Rot-Grün noch als Zukunftsmodell wähnte, schien alles ziemlich einfach. Der große Zampano Kohl hatte es dereinst vorgemacht, wie man die Einheit zwar nicht aus der Portokasse wohl aber durch Abkassieren an den Zapfsäulen finanziert. Um sage und schreibe fünfzig Pfennig wurde nach 1991 die Mineralölsteuer erhöht, sonst wäre der ohnehin schon Schwindel erregende Einheitsschuldenberg des Finanzjongleurs Waigel wahrscheinlich als Tschomolungma der Schulden in die Geschichte spektakulärer Pleiten eingegangen. Für die Ostdeutschen hatte sich dadurch ohnehin nichts geändert. Die waren an einen Benzinpreis von 1,60 Mark schon gewöhnt. Nur mit dem erhofften Einheitsgewinn hat es, wie mit vielen anderen Hoffnungen auch, eben nicht geklappt.
Die strukturelle Abhängigkeit des gesamten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens vom Automobil macht es möglich, daß immer dann, wenn die Regierenden Geld brauchen, am liebsten an der Mineralölsteuerschraube gedreht wird. Diesem Griff in die Tasche kann so gut wie niemand entkommen – nicht einmal notorische Autoverweigerer, denen wird der gestiegene Spritpreis mittels steigender Nahverkehrstarife und Einzelhandelspreise gleichfalls übergeholfen.
So ausgerüstet mit einer vermeintlich unfehlbaren Zauberformel machte sich das reformscheue rot-grüne Kabinett auch schon bald ans Werk, es dem großen Meister gleichzutun – nur daß der altbewährten Masche jetzt noch der Öko-Engel aufgeklebt wurde. In Wahrheit sollte mit der Absenkung der Beiträge zur Rentenversicherung nicht der ökologische Umbau eingeleitet, sondern vielmehr die Stimmung der Bosse ob sinkender Lohnnebenkosten gehoben werden. Alles hätte so schön sein können – nachdem die Industrie und das Flugwesen von der Energiesteuer weitgehend befreit wurden, begann der bei Auto- wie Bahnfahrern erhobene »Öko«-Tribut munter in die Staatskasse zu sprudeln. Immerhin rund 70 Mrd. DM jährlich, die allerdings noch nicht mal die Ausgaben für den Verkehrswegebau des Bundes von 80 Mrd. DM pro Jahr refinanzieren.
Doch nun droht plötzlich der Untergang des Autolandes! Der Spritpreis – heute in deutschen Landen mindestens so sensibel wie der Brotpreis, der bekanntlich einst die Große Revolution der Franzosen auslöste – ist dabei, sich dauerhaft über der Schmerzgrenze von zwei Mark festzusetzen. Und die nächsten Stufen der ökologisch verbrämten Rentenabgabe, die vorzugshalber von den kleinen Versicherten allein aufgebracht werden soll, lassen in bezug auf das Preisniveau nichts Gutes erahnen. So wird die BRD Platz neun in der nach oben offenen Benzinpreisskala der EU kaum halten können. Der ungewollte Aufstieg scheint gewiß. Ausgerechnet die sozialreformistische Koalition der Ratlosigkeit steuert das Staatsschiff schier unaufhaltsam in eine revolutionäre Situation!
Irgend etwas ist also irgendwie »dumm gelaufen« –und das gründlich. Wie immer in letzter Zeit ist in solchen Fällen die »Globalisierung« schuld. Und so wird ganz nebenbei der Beweis erbracht, daß es auch für die Industrieländer des Westens nicht nur darum geht, die von Kanzler Schröder – und Glaubensbrüdern – unablässig beschworenen »Chancen der Globalisierung« zu nutzen. Diese kann einem nämlich auch ganz gehörig in den Rücken fallen bzw. in den Allerwertesten treten. Denn die herbeigerufenen Geister freier Marktwirtschaft haben – anders als zufällig zu Zeiten des Großmeisters Kohl – eine gar hinterhältige Entwicklung genommen. Nicht nur der Rohölpreis hat sich inzwischen verdreifacht – weil sich die an den Quellen sitzenden »Öl-Scheichs« ausnahmsweise an die vereinbarten Förderquoten halten –, auch das von Kohl miterfundene goldene Zauberei der EU, der EURO, hat durch seinen rasanten Kursverfall zum US-Dollar zu einem satten Preisauftrieb beim Lebenselixier Erdöl geführt.
Die Lage ist augenscheinlich trostlos. Die Ölkonzerne nutzen die Gunst der Stunde, während die Bekenntnisse zur globalisierten freien Marktwirtschaft die Regierung aller wirksamen Steuerungsinstrumente berauben. Die Rentenmilliarden sind bereits fest verplant, so daß jeder Kurswechsel neue Probleme mit nicht länger einlösbaren Wahlversprechen gebiert. Das (kurzzeitige) Stimmungshoch, das dem Kabinett der CDU-Skandalgewinnler ohne eigenes Zutun beschert wurde, weicht dem Benzinpreissturmtief. Selbst in den SPD-Reihen bröckelt die Front schon merklich. Und die Regierung sieht – wie einst der Zauberlehrling – dem Treiben der herbeigerufenen Geister einigermaßen entgeistert zu.
In einem unterscheidet sich deren Lage jedoch grundsätzlich von der des Zauberlehrlings. Wäre der rot-grüne Chaosclub in dessen Situation, ginge es ihm ungleich besser als es ihm heute tatsächlich geht. Denn Zauberlehrlinge sind in einer Hinsicht zu beneiden. Sie können auf das Erlösung verheißende Eingreifen ihres Meisters hoffen. Für Zauberer hingegen, denen die Geister, die sie gerufen haben, entglitten sind, gibt es diese Hoffnung nicht.