27. Jahrgang | Nummer 10 | 6. Mai 2024

Porträt eines Unangepassten

von Manfred Orlick

Nach einem lange hinausgezögerten Prozess verbrannte die katholische Kirche am 17. Februar 1600 öffentlich den Philosophen Giordano Bruno als Ketzer auf dem Campo de Fiori in Rom. Die Hinrichtung wurde als Schauspiel und unbarmherziges Exempel für die Pilgermassen inszeniert, die im Zuge des „Heiligen Jahres“ nach Rom geströmt waren. Verächtlich wandte sich Bruno noch von einem Kruzifix ab, das man ihm entgegenstreckte – seine letzte dokumentierte Handlung, bevor das Feuer ihn verschlang.

In einer neuen Biografie beleuchtet der Historiker Volker Reinhardt, der bereits mit Büchern über Montaigne und Voltaire zwei Biografien mit wissenschaftlichem Anspruch vorgelegt hat, nun das Leben und Wirken des faszinierenden Freigeistes und Verfechters der Glaubensfreiheit. Der Mann aus der Stadt Nola bei Neapel, der sich gern schlicht als „der Nolaner“ bezeichnete, betrachtete das Universum als unendlich und war davon überzeugt, dass es unendlich viele Lebewesen auf anderen Planeten gäbe.

Der im Januar 1548 geborene Giordano Bruno trat 1565 in den Dominikanerorden ein, den er aber 1580 wegen eines Konflikts mit den kirchlichen Autoritäten verließ. Die heimliche Lektüre verbotener Bücher hatte bereits 1576 eine erste Anklage wegen Ketzerei zur Folge. Nach seinem Austritt folgten ruhelose Wanderjahre durch halb Europa, mit Stationen unter anderem in Genf, Toulouse, Paris, London, Wittenberg, Helmstedt, Frankfurt am Main und Prag. Während dieser Wanderschaft entwickelte Giordano Bruno seine Theorie von einem unendlichen Kosmos, der keinen festen Mittelpunkt besaß. Auch das Göttliche war nur noch Teil einer allumfassenden, von einer Art Weltgeist beseelten Natur. Überall hoffte der Heimatlose darauf, einen Lehrstuhl zu erhalten, doch an jeder neuen Wirkungsstätte fiel er durch seine Streitlust und antiaristotelische Vorträge auf, womit er die ansässige Professorenschaft stets provozierte. Zurückgekehrt nach Venedig wurde er 1592 denunziert und geriet er ins Visier der Inquisition. Es folgten acht Jahre Kerkerhaft, die den 52-Jährigen sichtlich brachen.

Reinhardt, der Brunos Schriften neu gelesen hat und den verschiedenen Aufenthaltsorten nachgegangen ist, zeichnet in sechs chronologischen Kapiteln den Weg Brunos präzise und faktenreich nach. Neben der jahrelangen Wanderschaft durch ein von Glaubensauseinandersetzungen zerrissenes Europa legt der Autor sein besonderes Augenmerk auf den mehrjährigen Inquisitionsprozess mit den zahlreichen Verhören, die er anhand neuer Quellen und Dokumente versucht, mit kriminalistischer Detektivarbeit zu rekonstruieren. Dabei tritt die Verunsicherung der Führungskräfte der Kurie zutage. Erst mit dem Wiedererstarken des Papsttums 1599 wurde auf eine Beendigung des Prozesses gedrängt. Letztendlich wurde Bruno das Opfer machtpolitischer Erwägungen und kirchlicher Ränkespiele. Reinhardts Fazit: „Der Verlauf des Prozesses in Venedig und in Rom habe das Todesurteil nicht rechtfertigen können.“

In einem Epilog widmet sich der Autor dem „Nachleben des großen Unzeitgemäßen“. Dessen Lehre und Philosophie übten später einen großen Einfluss unteranderem auf Spinoza, Leibniz, Herder, Goethe, Schelling und Schopenhauer aus. Kritik an Brunos Verurteilung kam aber erst im Nachhall der Französischen Revolution auf. Besonders heftig wurden die Debatten in Italien geführt. Das 1861 gegründete Königreich Italien suchte nach einer Legitimation. Brunos Feuertod machte ihn zu einem Märtyrer für die Freiheit und die Religionskritik, und so nahm er einen Ehrenplatz in der Ahnengalerie des modernen Italiens ein. Italienische Republikaner errichteten ihm 1889 eine überlebensgroße Bronzestatue auf dem Campo de Fiori, die heute dort noch zu bewundern ist.

In Brunos Kampf für Gedanken- und Publikationsfreiheit sieht Reinhardt im Abstand von mehr als vier Jahrhunderten auch eine „aktuelle Mahnung zur Wachsamkeit gegen jede Form der Intoleranz und eine stetige Warnung vor neuen Inquisitionen und ihren nicht minder unduldsamen Wortführern im 21. Jahrhundert“.

Einige historische Abbildungen, eine Karte von Giordano Brunos Weg durch Europa und eine Zeittafel komplettieren die Neuerscheinung.

 

Volker Reinhardt: „Der nach den Sternen griff – Giordano Bruno. Ein ketzerisches Leben“, C.H. Beck, München 2024, 352 Seiten, 29,90 Euro.