20. Jahrgang | Nummer 12 | 5. Juni 2017

Passt schon noch. Vom Wasser

von Eckhard Mieder

Stephen Hawking lässt ausrichten, dass die Menschheit noch hundert Jahre auf der Erde existieren wird. Länger nicht. Wenn er Recht bekommen sollte (was weder ihn noch mich berühren wird), haben die Kinder meiner Urenkel keine Lebenschance mehr. Und selbst meine Enkel könnten, bisschen was über Hundert werden sie alle, den Untergang erleben – und ihm entkommen auf einen anderen Stern. Kann sein, dass es so kommt; ich werde es nicht erfahren, aber es betrübt mich, wenn ich an die süßen Kleinen denke, die sie grad sind.
Im Toten Meer ist ein Tourist ertrunken. Ich lag schon mal auf dem salzgetränkten Wasser und war froh, als ich mich hinterher mit kaltem Süßwasser abduschen konnte. Der Ertrunkene hatte von dem Salzwasser getrunken, Herzstillstand, Magen verdorben, irgendwie so.
Ein Pornostar namens Molly Cavalli wird bei Dreharbeiten unter Wasser von einem Hai in den Fuß gebissen. Soweit die Nachrichtenlage gesichert ist, griff der Hai nicht während einer koitalen Situation an. Tut trotzdem weh, irgendwie so.
Und im Mittelmeer sind wieder ein paar Hundert Flüchtlinge ertrunken. Das ist nicht irgendwie und nicht irgendwo. Das ist zum Heulen. Aber Heulen ist auch nur Wasser.
Außerdem war der Regen der letzten Apriltage in Süddeutschland so heftig, dass Bäche aufschäumten, Straßen überflutet wurden, Hamster und Kanarienvögel (weil in Käfigen eingesperrt) starben. Es ist, alles in allem, viel Wasser unterwegs. Alles in allem sind die Nachrichten voller Wasser. Alles in allem ist Wasser sehr gefährlich.
Selbst Hawking sagt letztlich nichts anderes als: Aus dem Wasser gekommen, endet der Mensch möglicherweise im Wasser, das ihn ertränkt oder fortspült ins eisig kalte All. Vielleicht kommen die Ozeane auf die Idee, mit der Sintflut mal richtig ernst zu machen, die Erdanziehungskraft aufzuheben, ein Bündnis mit den Löchern in der Atmosphäre zu schließen und, pardauz, fällt Schneider Böck (nennen wir die Menschheit mal so) in den Bach. „Kracks! Die Brücke bricht in Stücke.“ Wenn wir schon an den Brücken in die Zukunft sägen wie die schrägen Knaben Max und Moritz.
So gesehen ist es vernünftig, dem zuvorzukommen, indem der Mensch sich eine Heimat außerhalb der Erde baut. Auf der es dann kuschlig hat. Kamin im Winter, Grill im Sommer, Whirlpool immer und hin und wieder ein Ausflug zum Staub-Surfen auf dem Mond oder zu einem erotischen Abenteuer auf der Venus.
Die immerhin noch überschaubare Zahl der Toten an jedem Tag, die Flüchtlinge, die Kriegsverlierer, die Lebensverlierer sind, die Nichtschwimmer, die draufgängerischen Surfer sind quasi nur Metapher. Sie gehen uns voran. Sie sind die Avantgarde der Hawkingschen Hypothese.
Es dauerte ein paar Milliarden Jahre, bis der Mensch aus der Hüfte kam und den Kopf dahin heben konnte, wo die Wolken treiben und die Sterne funkeln. Ab da, ungefähr, begann seine Sehnsucht nach dem Höheren Reich.
Ich habe sie nicht, diese Sehnsucht. Ich wollte nicht mal als Knabe Kosmonaut werden. Ich kletterte gern auf Bäume, wünschte mir Max und Moritz als Schulkameraden und als Komplizen beim Klauen von Gurken aus den nahen Kleingärten. Ich bin mir (fast) sicher, dass wir in den nächsten hundert Jahren die Raumstationen im Lego-Prinzip zu einem Planeten ausbauen werden. Wir werden Rohrleitungen zur Erde installieren, durch die das Wasser gesogen und vom wild wuchernden Stern abgezogen wird. Der ist als Resterampe noch ein paar Jahrhunderte zu gebrauchen. Wir werden auch lustige, bunte Rutschbahnen und Lifte bauen. Auf den einen sausen wir mit unseren Kindern mit fröhlichem Juchhu in den Naturpark unserer Wahl (Island, Wüste Gobi, Elbsandsteingebirge, Restspeiseeis auf Grönland etc. pp.). In dem anderen fahren wir wieder nach oben – ins Weltall, in unsere gemütliche Kunst-Heimat. Andere Probleme haben wir ja nicht.