20. Jahrgang | Nummer 14 | 3. Juli 2017

Abkehr von Obama-Politik – Künftig noch mehr Drohnenangriffe?

von Jerry Sommer

Donald Trump hat angekündigt, die von Obama erlassenen und ohnehin recht flexiblen Richtlinien für den Drohneneinsatz gegen mutmaßliche Terroristen zu überarbeiten. Laut Zeitungsberichten soll das US-Militär nicht nur wie bisher in den Kriegsgebieten Afghanistan, Irak und Syrien seine große Handlungsfreiheit behalten. Es solle künftig zudem einen größeren Freiraum erhalten, wenn es um tödliche Drohnenangriffe auch in Nicht-Kriegsgebieten gehe. Beschränkungen, die Präsident Obama erlassen hatte, könnten gelockert werden. Eventuell sollen das Pentagon und der Auslandsgeheimdienst CIA solche Einsätze auch ohne ausdrückliche Zustimmung des Weißen Hauses entscheiden dürfen.
Ob und inwieweit allerdings die Einsatzrichtlinien für diese Gebiete formal geändert werden sollen, ist noch unklar. Ebenso unklar ist, ob die CIA wieder eigenständig gezielte Tötungen mit Drohnen wird ausführen dürfen. Alyssa Sims von der Washingtoner Denkfabrik „New America“ ist besorgt: „Gelockerte Bestimmungen könnten zu einer höheren Anzahl von getöteten Terroristen führen, aber auch zu mehr zivilen Opfern.“
In der Amtszeit von Trump hat das US-Militär in Pakistan bisher lediglich einen Drohnenangriff ausgeführt, nachdem dort neun Monate lang keine Drohnenangriffe mehr erfolgt waren. Über zwanzig Raketen wurden von unbemannten US-Luftfahrzeugen allerdings auf Ziele im Jemen abgefeuert – einige auf Somalia. Im Jemen richteten sich die Angriffe gegen mutmaßliche Mitglieder von „Al Qaida auf der arabischen Halbinsel“, in Somalia gegen die islamistische al-Shaabab. Auf Bitte des US-Militärs hat Trump einige Regionen des Jemen und Somalias schon im März zu Kriegsgebieten erklärt, um den Streitkräften dort mehr Handlungsfreiheit zu geben. Dasselbe hatte auch Obama zeitweise für Gebiete in Libyen gemacht.
Der Einsatz von bewaffneten und unbewaffneten Drohnen gehört schon länger zum Standard-Repertoire des US-Militärs. Etwa 60 US-Drohnen kreisen jeden Tag über Krisengebiete. Die US-Luftwaffe plant, die täglichen Einsätze auf bis zu 90 Missionen zu erhöhen. Es handelt sich in erster Linie um Aufklärungseinsätze, mit denen Informationen vor allem für konventionelle Luftschläge und andere Operationen gewonnen werden. Aber von US-Drohnen vom Typ „Predator“ und „Reaper“ werden auch Raketen abgeschossen. Laut Angaben der US-Luftwaffe sind Drohnen im Irak und in Syrien mit sieben Prozent an Luftangriffen gegen die Terrororganisation Islamischer Staat beteiligt. In Afghanistan dagegen sind in den ersten drei Monaten des vergangenen Jahres 61 Prozent der Luftangriffe durch Drohnen durchgeführt worden.
Zwar gibt es keine vollständigen offiziellen Informationen über die bewaffneten US- Drohnen-Operationen in sogenannten anerkannten Kriegsgebieten wie in Afghanistan, im Irak und in Syrien. Diese seien aber auch weniger strittig, sagt Niklas Schörnig von der „Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung“: „Völkerrechtlich extrem umstritten sind die Einsätze, die die USA in Pakistan, Somalia und Jemen geflogen haben und noch fliegen. Aus Sicht der meisten Völkerrechtler liegt hier kein bewaffneter Konflikt vor, und deshalb sind gezielte Tötungen von Kombattanten nicht zulässig.“
Die US-Regierung sieht das anders. Schon US-Präsident Bush hat nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 eine sogenannte Kill-Liste erstellen lassen. Die dort namentlich genannten vermutlichen hochrangigen Terroristen von Al Qaida und ihren Verbündeten durften demnach von der CIA und dem US-Militär auch außerhalb von Afghanistan gezielt getötet werden. Bis 2008 führte die CIA in den angrenzenden Gebieten Pakistans deshalb etwa 50 Angriffe mit bewaffneten Drohnen durch. In den anschließenden acht Jahren der Präsidentschaft von Barack Obama wurden im US-Anti-Terrorkrieg die Drohneneinsätze in Nicht-Kriegsgebieten auf Jemen, Somalia und Libyen ausgeweitet. In der Amtszeit von Obama hat es zehn Mal mehr solcher Angriffe als unter George W. Bush gegeben – insgesamt 526. Dabei sind nach Angaben der US-Administration etwa 3.000 Kämpfer und 65 bis 117 Zivilisten getötet worden. Unabhängige Organisationen gehen hingegen von 200 bis 800 zivilen Opfern aus.
Insbesondere die Drohnenangriffe in Pakistan führten wegen der zivilen Opfer zu heftigen Protesten. Deshalb versuchte Obama ab 2013 auch, den Drohneneinsatz in Nicht-Kriegsgebieten neu zu regeln. So wurde der CIA die alleinige Durchführung von Drohneneinsätzen zu gezielten Tötungen entzogen. Stattdessen wurden solche Einsätze gemeinsam vom Militär und CIA durchgeführt. Der Geheimdienst hatte in erster Linie Informationen über den Aufenthaltsort des mutmaßlichen Terroristen zu beschaffen. Neue Richtlinien wurden erlassen, nach denen – in der Regel – nur gezielte Tötungsangriffe ausgeführt werden durften, wenn „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Zielperson vor Ort ist und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Zivilisten verletzt oder getötet werden“. Auch müsse von der Zielperson eine anhaltende Gefahr für die USA ausgehen und ihre Gefangennahme unmöglich sein.
Jeder Plan zur Tötung eines vermeintlichen Terroristen musste laut Obamas Direktive dem Präsidenten vorher zur Kenntnis gegeben werden, er behielt sich die letzte Entscheidung vor – vor allem bei Meinungsverschiedenheiten in der Administration.
Die Anzahl der US-Drohnenangriffe in Pakistan ist wegen der internationalen Kritik und den neuen Regelungen Obamas seit 2011 erheblich zurückgegangen. Im vergangenen Jahr gab es dort nur noch drei Angriffe. Dabei wurde auch der Führer der afghanischen Taliban, Mansour, gezielt getötet – obwohl die USA doch vorgeben, mit diesen einen Verhandlungsfrieden aushandeln zu wollen.
Im Jemen und in Somalia haben Drohnenangriffe im letzten Amtsjahr von Barack Obama demgegenüber deutlich zugenommen. Auch waren die Obama-Regelungen mit zahlreichen Ausnahmebestimmungen versehen und zudem unterschiedlich auslegbar. Zum Beispiel musste eine ins Visier genommene Zielperson nicht unbedingt namentlich bekannt sein. Es konnten auch Unbekannte zu Terroristen erklärt werden, wenn sie ein bestimmtes Verhalten an den Tag gelegt hatten, das für verdächtig gehalten wurde. Bei den gezielten Tötungen gab es auch unter Obama bis zum Ende seiner Amtszeit keine echte Transparenz. Nochmals Niklas Schörnig: „Man tappt da oft im Dunkeln, wer angegriffen wurde, welche Position diese Person tatsächlich innehatte. Die Aussage der US-Regierung, man solle ihr vertrauen, ist doch eine starke Herausforderung angesichts der enormen Anzahl von Angriffen. Es ist nicht plausibel anzunehmen, dass hier in allen Fällen eine ganz konkrete nicht abwendbare Bedrohung vorlag.“
Trotz der Unzulänglichkeiten der Obama-Richtlinien für den Drohneneinsatz in Nicht-Kriegsgebieten ist zu befürchten, dass die mögliche Rücknahme der Beschränkungen durch Präsident Trump zu einer Ausweitung des Drohnenkrieges führen könnte. Extraterritoriale Tötungen durch Drohnen sind für viele Juristen ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Für viele Experten sind sie zudem auch kein wirksames Instrument, um den Terrorismus nachhaltig zu bekämpfen oder Aufständische an den Verhandlungstisch zu bringen. Im Gegenteil. Conrad Schetter, Afghanistanexperte und Direktor des Internationalen Konversionszentrums BICC in Bonn: „Wir hören aus den pakistanischem Grenzgebiet zu Afghanistan, wo bewaffnete Drohnen sehr stark eingesetzt wurden, dass das dazu führte, dass die Menschen sich noch eher den Taliban anschlossen, weil sie sich durch die Drohnenangriffe einem permanenten Akt des Terrors ausgesetzt sahen.“
Bei aller Kritik an den Drohnenschlägen der USA darf aber nicht übersehen werden, dass nach wie vor weit mehr Zivilisten durch konventionelle Luftschläge der US-Streitkräfte in Kriegsgebieten getötet werden als durch gezielte Drohnenangriffe außerhalb von Kriegsgebieten. Allein im Irak und in Syrien sind dabei in den ersten vier Monaten der Amtszeit von Trump fast 4000 Zivilisten durch Bombenangriffe der Alliierten gegen den IS umgekommen. Das haben Berechnungen der Organisation „Airwars“ ergeben. Die US-Armee gibt nur 484 zivile Opfer zu – tödliche Kollateralschäden.

Der Text ist die leicht veränderte Version eines Beitrages für „Streitkräfte und Strategien“ (NDR-Info, 20.06.2017).