20. Jahrgang | Nummer 4 | 13. Februar 2017

Schwarzgeld, Korruption und Parteienfinanzierung

von Edgar Benkwitz

Vor mehr als einem Vierteljahr hallte durch Indien ein ungewöhnlicher Donnerschlag, dessen Grollen noch heute zu hören ist. Am 8. November setzte die Regierung mit sofortiger Wirkung den größten Teil der im Umlauf befindlichen Banknoten außer Kraft. Als Maßnahme gegen Schwarzgeld deklariert, richtete sie jedoch erst einmal ein ziemliches Chaos an. Viele unbescholtene Bürger wurden finanziellen Problemen ausgesetzt, denn die angeordnete Registrierung der alten Noten sowie die Bereitstellung neuer dauerte oft Wochen. Die relativ gut funktionierende Wirtschaft des Landes geriet ins Stottern, da das fehlende Bargeld zu einer empfindlichen Störung des wirtschaftlichen Kreislaufs mit weniger Produktion und Kaufkraft führte.
Internationale Finanzinstitutionen schätzen ein, dass es infolge der Aktion zu einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts von bis einem Prozent im laufenden Jahr kommen wird. Das nimmt die Regierung in Kauf, überwiegen doch nach ihrer Ansicht die positiven Resultate. Und in der Tat wird allgemein anerkannt, dass gegen die Übel Schattenwirtschaft, Schwarzgeld und Korruption, die in Indien allgegenwärtig sind, endlich etwas Entscheidendes getan werden musste. In der sieben Wochen dauernden Umtauschaktion wurde massenhaft Steuerbetrug aufgedeckt, der mit Steuernachzahlungen, Bußgeldern und Strafanzeigen geahndet wird. Bei den Banken kam es zu den gewünschten vielen Kontoeröffnungen. Auf über zehn Millionen neuer Konten wurden von der Mittel- und Oberschicht zehn Billionen Rupien (1 Euro entspricht etwa 75 Rupien) an Bargeld in alten Scheinen eingezahlt. Die teilweise enorm hohen Einzahlungen werden gegenwärtig auf den rechtmäßigen Erwerb geprüft.
Im Visier sind etwa eine Million Konten, auf denen durchschnittlich 500.000 Rupien liegen sowie 150.000 Konten mit einem Durchschnittsbesatz von etwa 33 Millionen Rupien. Keine Angaben gibt es bisher zur Höhe des „Schwundgeldes“, also jenes Teils der alten Währung, der bei dem Umtausch nicht auftauchte. Ganze Bündel alter Banknoten wurden im Müll gefunden, ihre Besitzer wollten sich nicht bloßstellen. Auch Falschgeld, darunter möglicherweise im Ausland gedruckt, war betroffen. Die Hoffnung, dass dieses Geld auf die in den letzten Jahren für die Ärmsten eingerichteten Jan Dhan-Konten verteilt wird, ist inzwischen verflogen. Davon gibt es 250 Millionen, sie dienen hauptsächlich dem Transfer staatlicher Sozialleistungen.
Die Umtauschaktion zeigte, dass die korrupte Schicht schnell Mittel und Wege fand, einen Teil ihres Geldes zu retten – wiederum durch Korruption, indem Beamte in Finanzämtern sowie Bankangestellte bestochen wurden. Allein die staatlichen Banken suspendierten daraufhin 156 hohe Beamte, einige müssen sich wegen krimineller Machenschaften verantworten. Auch eine Vielzahl der erwähnten Jan Dhan-Konten, wiesen plötzlich einen hohen Bestand auf, ganz offensichtlich wurde hier missbräuchlich Geld von Vermögenden geparkt. Von Kritikern wurde auch darauf verwiesen, dass mit dem Zugriff auf Bargeld nur ein Zweig des illegalen Reichtums betroffen wurde. Der Besitz von Immobilien, von Gold und vor allem das Auslandsvermögen wurden nicht angetastet. Auch diejenigen, die ihr Geld bereits bei Banken deponiert hatten, blieben weitgehend unbehelligt.
Über einen anderen wichtigen Aspekt des Umtausches ist von der Regierung und der sie tragenden hindunationalistischen Indischen Volkspartei (BJP) kaum etwas zu hören. Bei seinem Amtsantritt vor nahezu drei Jahren hatte Premierminister Narendra Modi versprochen, entschlossen gegen die im Land bestehende Korruption vorzugehen. Bisher geschah an dieser Front wenig, doch das jetzige Vorgehen gegen Schwarzgeld ließ die Popularitätswerte von Narendra Modi stark steigen. Das war politisch gewollt, denn die Aktion fiel in den Vorwahlkampf zu den Landtagswahlen in fünf Unionsstaaten, darunter im innenpolitisch wichtigen nordindischen Uttar Pradesh mit seinen 210 Millionen Einwohnern. Modis BJP ist überall angetreten, die stärkste Partei zu werden. Meinungsumfragen noch Ende Januar in Uttar Pradesh ergaben, dass fast zwei Drittel der Befragten die Umtauschaktion als gut für Indien ansehen. Diese Zustimmung soll nun möglichst in ein gutes Wahlergebnis für Modis Partei umgemünzt werden.
Natürlich sind Razzien der Steuerbehörden, die bei politischen Konkurrenten riesige Mengen an Bargeld sicherstellten, sehr willkommen. Das wiederum wirft ein Schlaglicht auf die Parteienfinanzierung und die Rolle von Schwarzgeld bei Wahlen. Nach kürzlich veröffentlichen Daten der Zentralen Wahlkommission sind im Land insgesamt 1900 politische Parteien registriert, davon haben allerdings 400 nie an einem Wahlkampf teilgenommen. Da Parteien für alle Zuwendungen von der Einkommenssteuer befreit sind, sei die Existenz einer politischen Partei der beste Weg, um Schwarzgeld weiß zu waschen, folgert dazu die Times of India in einem Kommentar. Weitere, für die Demokratie erschreckende Zahlen nennt die in Delhi ansässige Association for Democratic Reforms. Von 2004 bis 2015, also in elf Jahren, erhielten die Parteien 78 Milliarden Rupien aus unbekannten Quellen, was 69 Prozent ihres Gesamteinkommens ausmachte. Bei der Kongresspartei belief sich dieser Anteil auf 83 Prozent, bei der BJP, gegenwärtig an der Macht, auf 65 Prozent. Gar 94 Prozent sind es bei der regionalen Samajwadi Party (SP), die den erwähnten Unionsstaat Uttar Pradesh regiert. Kein Wunder, dass Ministerpräsident Akilesh Yadav von eben dieser Partei die Existenz einer Schattenwirtschaft rechtfertigte. Ihr sei eine puffernde Funktion zuzuschreiben, so Yadav, die das Land in der Weltwährungskrise vor einem schlimmen Absturz bewahrt habe. Diese beinahe unglaubliche Aussage bestätigt, dass Schwarzgeld und Korruption in Indien im Laufe der Zeit zu Selbstverständlichkeiten der Gesellschaft geworden sind. Exemplarisch ist auch der Fund von 1,5 Milliarden Rupien im Haus eines Ministers der im Unionsstaat Karnataka regierenden Kongresspartei.
Premierminister Modi schlug nun vor, die bisherige private Parteienfinanzierung zu begrenzen und – wie in vielen westlichen Ländern – staatliche Mittel bereitzustellen. In der Haushaltsdebatte des Parlaments wurde ein erster Schritt für Kontrolle und Transparenz getan: Zuwendungen für Parteien aus ungenannten Quellen (in bar, von einer Person) dürfen in Zukunft zweitausend Rupien nicht übersteigen.
Ob die gerade über die Bühne gegangene Geldumtauschaktion einmal in die Erfolgsbilanz der Modi-Regierung eingehen wird, steht noch aus. Unter der Flagge des Kampfes gegen Korruption wurde den Bürgern – besonders dem schnell wachsenden Mittelstand, der den Staat zunehmend trägt – einiges abverlangt. Die offensichtlich ungenügende Vorbereitung, die schleppende Durchführung und die oft fehlende Konsequenz werden kritisiert. Zudem wird die Frage gestellt, wie der enorme Aufwand zum erzielten Nutzen steht.
Nicht vergessen werden soll, dass die Umtauschaktion an Hunderten von Millionen Indern quasi vorbeiging. Über ein Viertel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze und muss mit wenigen Rupien am Tag auskommen. Ihnen bleibt nur die Hoffnung, dass gegen illegalen Reichtum und Korruption weiter und vor allem konsequenter vorgegangen wird.