von Horst Drescher
Harmlose Epidemien
In gewissen Abständen geraten Fremdwörter in die Köpfe der intellektuellen Vielredner, wie Läuse auf die Köpfe der Schulkinder geraten. Und mit den gleichen Folgen.
Heiterkeit
Wenn man sein Leben so sachte zu überblicken beginnt, könnte man sich geradezu amüsieren darüber, wie oft man glaubte, sich beeilen zu müssen.
Herbe Alternative
Leicht kann der Mensch in eine Epoche hineingeboren werden, in der bleibt ihm nur die Wahl, ob er anständig leben oder ob er anständig bleiben will. Und oft bleibt ihm nicht einmal die Wahl.
Ich höre …
Im Feudalismus hatte der König Sprechstunden, in denen konnte der geringste seiner Untertanen persönlich vor ihn hintreten, und seine Beschwerde vortragen.
… und staune.
Im Grenzbereich der Ränder
Die Sprache ist wohl syntaktisch überfordert, wenn durch das Ende des Beginns des Auftretens des Neuen schon der Beginn des Endes des Abtretens des Alten schimmert.
Indiz
Zeugt es nicht von erstaunlich demokratischen Strukturen im Feudalismus, daß damals Hofschranzen als Hofschranzen bezeichnet wurden?
Keramisches
Ich kenne Krüge, die sind so lange zum Brunnen gegangen, bis er brach.
Kleine Erinnerung
Jeder Bürger im Lande weiß, was das heißt: „stabile Versorgung“. Aber nicht jeder Bürger im Lande weiß mehr, daß man so was früher einfach „Versorgung“ nannte. Und eine Versorgung war immer stabil im Gegensatz zu einer stabilen Versorgung.
Kleiner Lapsus
Warum haben es nur zu allen Zeiten Schriftsteller, die Literatur machen, so schwer und Schriftsteller, die keine Literatur machen, so leicht.
Merkwürdige Aversion
Die die Macht haben, haben eine starke Abneigung dem Terminus „Machthaber“ gegenüber. Das Wort ist ihnen wohl zu direkt.
Neuprägung
Parallel zu „neureich“ sollte es das Eigenschaftswort „neumächtig“ geben; das gibtʼs aber nicht. Vermutlich muß man die Ursache im Wort suchen.
Respektlose Bemerkung
Um lauter Prachtschüsse getan zu haben, muß man durchaus nicht gut schießen können; man kann doch auch die zwölf Ringe um das Loch malen! Dazu muß man freilich der Herr der Schießbude sein.
Wird fortgesetzt.
Auswahl aus: Horst Drescher – Aus dem Zirkus Leben. Notizen 1969 – 1986, Edition Neue Texte, Aufbau-Verlag, Berlin 1987.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Die Rechtschreibung des Originals wurde beibehalten.
Schlagwörter: Aphorismen, Horst Drescher
