19. Jahrgang | Nummer 12 | 6. Juni 2016

Medien-Mosaik

von bebe

Im Abstand von zwei Dekaden erleben wir „Agnes“-Filme. „Schwester Agnes“ mit Agnes Kraus von 1975 beweist im Rahmen der Gesundheitsmisere auf dem Lande eine ungewöhnliche Aktualität und wird immer wieder gezeigt. „Abschied von Agnes“ mit Corinna Harfouch und Michael Gwisdek von 1995 hätte uns heute noch viel über die Menschen in den Jahren nach dem Systemwechsel zu sagen, wenn er denn gezeigt werden würde. Ob aber „Agnes“ von 2015 auch in zwanzig oder gar 40 Jahren noch zitiert wird, scheint zweifelhaft. Es handelt sich um eine Umsetzung des gleichnamigen Romans von Peter Stamm, der in den Schulen von Baden-Württemberg zur Pflichtlektüre zählt. Das kommentiert man lieber nicht, wenn man das Buch nicht gelesen hat. Nach Betrachten des Films lässt man aber die Finger vom Roman. Der erste Film für Erwachsene des Regisseurs Johannes Schmid („Blöde Mütze!“, 2006) ist wohlwollend als Kammerspiel zu werten. Ein solches bräuchte aber innere Spannung, die sich hier nicht mitteilt. Wir sehen zwei Menschen fast ohne jegliche soziale Beziehungen (Arbeitskollegen kommen ins Bild, von Eltern wird kurz gesprochen), die ihre Beziehungssituationen miteinander auszutragen haben. Von herkömmlichen Schmonzetten bei ARD und ZDF unterscheidet sich „Agnes“ nur durch angenehm zurückhaltenden Musikeinsatz und das Fehlen von Intrigen wie auch attraktiver Landschaften. Um den Kunstanspruch zu erfüllen, baute Michael Bertl gelegentlich originelle Bilder. Der Film ist ein unbedingtes Muss für junge Frauen, die ältere Männer lieben, für Künstler, die nicht wissen, wie sie mit ihrer jungen Muse umgehen sollen, oder auch nur für Leute, die den sensiblen Silberblick von Odine Johne und den noch immer flachen Bauch des Mittvierzigers Stephan Kampwirth gern betrachten wollen. Alle anderen sollten sich die „Agnes“-Filme 1 und 2 aus der Videothek holen.

Agnes, Regie Johannes Schmid, Verleih Neue Visionen, seit 2. Juni in ausgewählten Kinos.

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Alles kehrt wieder, wenn man nur lange genug wartet. Zehn Jahre nach der letzten CD hat uns Chansonnier Jürgen Walter eine neue beschert – und da heißt es „Alles kehrt wieder / Tanz oder Lieder / Am Morgen das Licht / Alles kehrt wieder / Nie mehr mein junges Gesicht“. Gisela Steineckert hat wie fast alle Titel der CD auch diesen für Jürgen Walter geschrieben. Die 85-Jährige ist noch immer sehr produktiv und voller poetischer Kraft, und Jürgen Walters Stimme ist reifer geworden, verfügt aber noch immer über den Charme, den man an ihm einst liebte. Auch neue Lieder müssen reifen. Das weiß Walter und bietet uns wieder eine Mischung aus beliebten alten und brandneuen Titeln. Überraschungen sind auch dabei, wenn der Chansonnier seine bekannten Titel „Ab die Post“ und „Wo ich hergekommen bin“ auf Französisch singt. Serge Hanin hat die Steineckert-Texte übertragen. Mit Andrea Peetz singt Walter das von Dolly Parton geschriebenes Duett „Von hier bis zum Mond und zurück“, ein besonderes Bonbon auf einer CD, die man gern mehrmals hört.

Jürgen Walter, Alles kehrt wieder, Buschfunk, 16,95 Euro.

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Eine angesehene Schauspielerin wechselt ins Regie-Fach. In Maria Schraders zweiter eigenständiger Regiearbeit „Vor der Morgenröte“ widmet sie sich den letzten Lebensjahren von Stefan Zweig, der neben Thomas Mann der im Ausland angesehenste deutschsprachige Schriftsteller seiner Zeit war. Seit 1934 lebte er im Londoner Exil. Schraders Film, den sie gemeinsam mit Jan Schomburg selbst schrieb, beginnt 1936, als Zweig Brasilien kennenlernt, zeigt ihn beim internationalen Schriftstellerkongress in Buenos Aires, später in New York mit seiner geschiedenen Frau, schließlich die Endstation Petrópolis, wo der Entwurzelte sich das Leben nimmt. Der Regisseurin gelingt trotz aufwendiger Kulissen ein kammerspielartiger Film, in dem Josef Hader und Aenne Schwarz als Stefan und Lotte Zweig mit zurückhaltendem Spiel Seelenlandschaften deutlich werden lassen. Anteil am Erfolg haben auch Episodendarsteller wie Barbara Sukowa, Charly Hübner und Matthias Brandt und vor allem Kameramann Wolfgang Thaler, der mitunter atemberaubende Einstellungen findet.

Vor der Morgenröte, Regie Maria Schrader, X Verleih, seit 2.6. in zahlreichen Kinos.