19. Jahrgang | Nummer 12 | 6. Juni 2016

Lob der Freundschaft oder Warum Sparen manchmal lohnt

von Angelika Leitzke

Gelegentlich gönnt sich der Normalverbraucher etwas: ein Paar extravagante Schuhe, ein luxuriöses Dinner oder einen edlen Tropfen.
Vor einiger Zeit wollte ich mir einen zweiten Klappstuhl für meine Küche kaufen. Entzückt entdeckte ich im Internet, dass das entsprechende Einrichtungshaus den Preis des Pendants zu meinem Erstling um die Hälfte reduziert hatte. Wie schön, dachte ich, das heißt, ich kann mir dazu noch eine Flasche guten Wein leisten. Schließlich will man sich ab und zu mal etwas gönnen. Um in einer Großstadt wie Berlin zur Reduzierung von CO2 beizutragen, fuhr ich am Vormittag nach Ort und Stelle nicht mit dem Auto, sondern mit den Öffentlichen. Ich nahm nur eine kleine Umhängetasche mit, damit ich auf dem Rückweg nicht allzu viel schleppen musste. Auch Klappstühle können, getragen über längere Strecken, verdammt schwer werden.
Im Möbelladen fand ich meinen Schatz, bezahlte ihn mit der ec-Karte, die ich sorgfältig wieder in meinen Geldbeutel steckte. Damit die Bodyguard-Schwelle am Ausgang mich nicht als Dieb festnahm, hielt ich den Kassenbon demonstrativ in der Hand. So ausgerüstet, marschierte ich den Weg zur U-Bahn zurück, in meinen Gedanken stand der Stuhl schon neben seinem Zwillingsbruder in der Küche – ich konnte also mit meiner Freundin, die gerade aus dem schönen Bayernland zu Besuch bei mir war, bequem zu zweit sitzend in meiner Küche Wein trinken.
Wie ich schon geahnt hatte, nahm meine Neuerwerbung auf meinem Fußmarsch an Gewicht zu, außerdem war es um die Mittagszeit plötzlich sehr heiß geworden. Am U-Bahnhof wollte ich als ehrlicher Mensch am Automaten das Rückwegticket lösen, legte dazu den Klappstuhl auf den Boden und kramte in meinem Geldbeutel nach dem passenden Kleingeld. Nun hatte ich zwei Bons in der Hand, die auch noch den Stuhl trug. Tapfer schleppte ich meine Ware die Rolltreppe hinauf, die zwar, wie üblich in Großstädten wie Berlin, immer dann nicht funktioniert, wenn man sie dringend braucht, aber mich immerhin meinem Ziel näher brachte: zwei Klappstühle in der Küche. Fehlte nur der edle Tropfen, den ich noch auftreiben musste. In der U-Bahn setzte ich mich vor lauter Angst, ich könnte in der Mittagsmüdigkeit plötzlich einschlafen und den Stuhl aus den Augen verlieren, nicht hin, sondern stand acht Stationen eisern durch, im Kopf zwei Klappstühle in der Küche.
Als ich ausstieg, hatte ich immer noch die dünnen Papierchen von Ticket und Kassenzettel in der Hand, den Klappstuhl unter dem einen Arm und meine Tasche lose über die Schulter geworfen. Ich strebte eine einschlägige Fachhandlung für Edelweine an, die auf meinem Heimweg lag. Hier wählte ich einen französischen Bordeaux, Château Bonnet, Jahrgang 2011. Ein wirklich guter Tropfen, manchmal will man sich ja etwas gönnen. An der Kasse brach mein Traumchâteau jedoch wie ein Kartenhaus in sich zusammen: Ich besaß zwar noch einen Klappstuhl und zwei luftige Bons sowie eine Umhängetasche, doch leider kein Portemonnaie mehr. Mit ihm waren auch eine ec-Karte, Bargeld und etliche Ausweise verschwunden, also das, was der Normalbürger, der sich gelegentlich etwas gönnen will, so mit sich herumträgt. Der Verkäufer schaute ungeduldig zu, wie ich in der Tasche wühlte, die Verzweiflung zunehmend im Gesicht. Fast dachte ich daran, den Klappstuhl vorzeitig einzuweihen, indem ich mich jetzt, mitten in einer Weinhandlung, auf ihn setzte. In Windeseile rekapitulierte mein Geist die Wege, die ich und mein Stuhl genommen hatten. Dann gab ich auf: Ich musste die Börse unterwegs verloren haben, oder jemand wollte mir nicht gönnen, was ich mir gönnte, weil sich ja der Mensch gelegentlich etwas gönnen will.
Meine Freundin, die mir spontan Geld für mein finanzielles Überleben in den nächsten Tagen lieh, reiste am nächsten Tag mit der Bahn wieder nach Bayern ab – mit dem Superplus-Sparticket. Den Wein, einen Fusel, den ich noch im Eisschrank entdeckte, hatten wir im Stehen getrunken. Mit im Gepäck trug meine Freundin einen exklusiven großen Regenschirm, den sie sich für teures Geld in einem schicken City-Geschäft gekauft hatte. Hin und wieder will sich ja der Normalbürger etwas gönnen. Elegant verpackt, ragte der Schirm aus ihren Koffern hervor.
Es war ein schöner Schirm. Leider hat er die Heimat meiner Freundin nie erreicht. Auch sie hat ihn verloren. Tusch! Das muss wohl echte Freundschaft sein. Wir haben unser lost property auch nie wieder bekommen. Doch was macht uns wirklich glücklich? Der Kabarettist Eckart von Hirschhausen sagt: Freunde!