19. Jahrgang | Nummer 12 | 6. Juni 2016

Glaub es nicht!

von Mussa Dshalil

Sagt man dir, Liebste: „Dshalil war müd,
man hat ihn kampflos niedergeschlagen.“
Glaub es nicht, Liebste! Glaube kein Wort!
Kein Freund wird dir so etwas sagen.

Mit Blut habe ich auf die Fahne geschrieben
den Schwur, immer vorwärts zu gehen.
Ich habe kein Recht, zu straucheln, zu stürzen,
ermüdet gar stille zu stehn.

Sagt man dir, Liebste: „Dshalil verriet
die Heimat. Hat Not nicht ertragen.“
Glaub es nicht, Liebste! Glaube kein Wort!
Kein Freund wird dir so etwas sagen.

Als die MPi auf den Rücken ich nahm,
schwor ich, die Heimat zu schützen.
Hätte ich dich und die Heimat verraten,
was könnt mir mein Leben noch nützen?

Sagt man dir, Liebste: „Dshalil ist tot,
du musst deinen Toten beklagen!“
Glaub es nicht, Liebste! Glaube kein Wort!
Kein Freund wird dir so etwas sagen.

Die Erde begräbt meinen Körper – mein Herz,
das flammende, singt und singt.
Kann der denn sterben, der seinen Feind
immer aufs Neue bezwingt?

20. November 1943

Der tatarische Dichter Mussa Dshalil kam als Kriegsfreiwilliger der Roten Armee 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft. In der gegen die Sowjetunion aufgestellten Tatarischen Division leistete er Widerstandsarbeit, wurde verhaftet und am 25. August 1944 in Plötzensee ermordet. Die in der Gefangenschaft geschriebenen Gedichte des „Moabiter Heftes“ erschienen erstmals 1946, 1953 gab Konstantin Simonow die erste sowjetische Ausgabe heraus – W.B.