18. Jahrgang | Nummer 16 | 3. August 2015

Shakespeare open Air: Ein Hamlet, nur zum Glück begabt

von Julia Michelis

Je später der Abend, desto romantischer wird die Szenerie in der Ruine der alten Klosterkirche von Berlin Mitte. Aber diese Aufführung des Neuen Globe Theater Potsdam lebt nicht von Romantik und tradierten Klischees. Ihr Hamlet begegnet uns als strahlender junger Mann, begabt zur Freundschaft, zur Liebe, zum Genuss. Er ist übermütig im Spielen wie im Flirten, er ficht brillant und reflektiert intelligent. Er hat alles, was das Glück der Jugend ausmacht – bis ihm das dreckige Leben an die Gurgel geht. Er ist nicht der große Zweifler, der Zauderer und Zerrissene, nein, er kann kämpfen, er will handeln. Aber was tun in dieser Schlangengrube, die der Hof in Helsingör seit dem Mord an seinem Vater geworden ist? Er wird in ein Learning by doing gezwungen, für das die Zeit längst abgelaufen ist. Das mörderische Ergebnis ist bekannt: Außer dem verantwortlichen Herrscherpaar wird auch die gesamte Jugend des Hofes ausgelöscht. Wie so oft muss sie den höchsten Preis für die Kämpfe der Mächtigen zahlen.
Eine parallele Situation in Shakespeares „Romeo und Julia“ wird in der Klosterruine sicher nicht umsonst zitiert: Am Grab Julias will Romeo den Rivalen Paris schonen, keinen Tribut mehr an die jahrhundertelange Fehde ihrer beider Familien zahlen. Doch alles ist vergeblich. Auch hier am Ende nur ein Haufen Toter. Regisseur Kai Frederic Schrickel hat diese Szene für die Schauspieltruppe am Hof von Helsingör wohl nicht nur eingefügt, um seine jungen Männer ein weiteres Mal in Fechtszenen (Choreographie Kai Fung Riek) brillieren zu lassen.
Überhaupt diese Schauspieltruppe – sie ist neben dem kraftvollen und dynamischen Saro Emirze als Hamlet der andere Protagonist der Aufführung, indem sie sich immer wieder als Erzähler der Geschichte ins Spiel bringt. Sie eröffnet und schließt den Abend („Die Schauspieler kommen!“), denn sie ist das Alter Ego des Neuen Globe Theater, das im letzten Jahr aus dem Ensemble von „Shakespeare und Partner“ hervorging. So gerät nicht in Vergessenheit, dass hier eine Truppe von Schauspielern mit dem Publikum im Gespräch über die Welt ist. Das machen die sieben Männer tempo- und einfallsreich, mit schauspielerischer Intelligenz, rasantem Rollenwechsel und viel Spielfreude. Sie nutzen eine Vielzahl von Mitteln, zitieren unbekümmert aus dem Fundus der Theatergeschichte und scheuen nicht Klamauk noch Parodie, zum Beispiel zeigt Dierk Prawdzik eine gelungene Hollywood-Persiflage, indem er den Rächer Laertes als eine Mischung aus Jung-Siegfried und Batman spielt.
Unterstützt wird er dabei durch Hannah Hamburger, deren Kostüme einen eigenen Kommentar zum Spiel liefern. So modern etwa Hamlet daherkommt, so konventionell tritt sein machtbesessener Stiefvater (Urs Stämpfli) im pelzbesetzten Königsmantel auf. Der sensible, liebevolle Horatio von Till Arthur Priewe ist nicht nur per Kostüm als Figur zwischen allen Zeiten angelegt. Als treuer Gefährte des frechen, draufgängerischen Hamlet trägt er seinen Teil zur Geschichte einer großen Freundschaft bei. Auch das wieder in Mode gekommene Gender-Crossing wird nicht ausgelassen, wobei erwähnt werden sollte, dass zu Shakespeares Zeiten nur Knaben vor dem Stimmbruch für Frauenrollen in Frage kamen. Hier gelingen Thomas Kellner als Ophelia in den zarten Szenen anrührende Momente, während Andreas Erfurt seine Gertrud zwar mit gut beobachtetem weiblichen Habitus ausstattet, aber seinen graumelierten Bart nicht vergessen machen kann. Sebastian Bischoff ist der Komiker der Truppe, der nicht nur bei seinem Polonius den schmalen Grat zwischen Witz und Albernheit souverän bewältigt.
Das ist an diesem Abend nicht immer der Fall, kann allerdings der Devise geschuldet sein „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“. Diese Truppe bringt tatsächlich viel – sie unterhält mit Witz und Einfallsreichtum, doch behält sie stets ihr Interesse an den existenziellen menschlichen Konflikten im Auge. Shakespeare in seinem Theaterhimmel müsste eigentlich seine Freude am Neuen Globe Theater haben.

In der Ruine der Franziskaner-Klosterkirche, Klosterstr. 73a, 10179 Berlin-Mitte noch bis zum 8. August und vom 27. bis 30. August in Potsdam.
Hinweis: Auch an heißen Tagen unbedingt warme Sachen mitnehmen, am späteren Abend wird es kalt!