18. Jahrgang | Nummer 14 | 6. Juli 2015

Chatzimarkakis. Nachrichten aus der Debattiermaschine (XXXVII)

von Eckhard Mieder

Dieser Mann ist irgendwie seltsam. Ich erinnere mich an ihn und seinen Namen im Zusammenhang mit einer plagiierten Doktorarbeit. Die scheint ihm nicht die Reputation für verschiedene Ämter in Politik und Wirtschaft gekostet zu haben. Falls die Angaben bei Wikipedia zuverlässig sind, handelt es sich um einen umtriebigen Menschen, der Ideen hat und anregend ist. Wäre er sonst in die Ämter und auf die Posten gelangt? Freilich überraschen mich die schnellen Wechsel – nach Wikipedia – dieses chamäleonhaften Genies.
Ich erlebe den Mann jetzt häufiger via TV. Chatzimarkakis hat griechische Wurzeln, war 2014/2015 „Ehrenbotschafter der griechischen Regierung“ – was macht man als solcher? – und installiert sich öffentlich als Grieche. Und zwar als Grieche, der gewissermaßen von Hause aus – gewissermaßen genetisch – weiß, was in Griechenland vor sich geht und wie die Griechen ticken. Leider glaube ich nicht an die Fähigkeit von Menschen, Länder und deren Bewohner porentief zu kennen. Ich fiele vor Lachen über mich selbst um, stellte ich mich hin und sagte, dass ich, weil ich Deutscher bin, über die Deutschen am besten Bescheid weiß. Noch bescheuerter wäre es, mich hinzustellen und zu sagen, ich wüsste über die Russen, über die Schweden, über die Briten, über die Afrikaner, über die Chinesen, über die Israelis Bescheid. Und mir ist auch im Zusammenhang mit der „Griechenland-Krise“ allzu oft das Gerede von den Griechen ein Gräuel.
Jorgo Chatzimarkakis hat solche Probleme nicht. Jedenfalls tritt er – etwa gestern Abend bei Maybritt Illner – forsch, witzig, schlagfertig als jemand auf, der die Griechen kennt. Wann immer er das Wort hat, sprudelt er über, sagt „Erstens“ und lässt kein „Zweitens“ folgen. Er springt von einem Gedanken zu einem nächsten, einen Zusammenhang erkenne ich nicht. Er sagt, dass man „in die Tiefe“ gehen müsse – und landet, oder ich verstehe ihn einfach nicht, weil er zu klug ist? im Sand irgendwelcher Behauptungen. Vielleicht ist es der Sand eines griechischen Strandes, auf den die Sonne scheint und auf dem der Mensch den Sommer genießt. Vielleicht ist Chatzimarkakis wirklich wie die Griechen. Ist er einer der Griechen? Oder er spielt, wie die Griechen sind?
Ich las am selben Tag des Illner-Talks in der F.A.Z. ein Interview mit dem griechischen Komponisten Mikis Theodorakis. Der fast Neunzigjährige sprach weise und empathisch über sein Leben, die Musik, seine Hoffnungen, über all das, was ein Mensch reflektiert, wenn er reflektieren kann, was er erlebt hat. Unter anderem sagte er: „Unser aller Leben hatte einmal einen natürlichen Rhythmus, den haben wir verloren. Wir versinken in ungeheuren Geldbewegungen und einem Bombardement von Informationen, wir verlieren und vergessen unsere Menschlichkeit, unser Menschsein. Dabei haben wir Hunger auf echte Harmonie – nicht auf solche, die als Illusion daherkommt. Die Menschen sollten lernen, der Disharmonie entgegenzutreten und falsche Harmonie zu erkennen.“ So spricht der künstlerische Mensch, so spricht der kosmopolitische Mensch, so spricht – ein Grieche.
Ich bin ein skrupulöser Mensch. Ich kann jetzt nicht Theodorakis mit Chatzimarkakis vergleichen; das geht nun wirklich nicht. Mit Musik von Theodorakis bin ich aufgewachsen, mit den Auftritten von Chatzimarkakis nicht. Da hat der ältere Grieche in puncto sympátheia schon mal einen uneinholbaren Vorsprung vor dem jüngeren Griechen. Außerdem sind Herkunft, Werdegang, Alter, Charakter, all das, was uns unterscheidet, eben – verschieden. Den Griechen, die Griechen – über welchen Leisten soll man die scheren?
Aber eines nervt dann doch: Chatzimarkakis hat aktuell das größere Publikum. Wortgewandt und – nichtssagend tritt er als Grieche auf. Die ausdrucksstarke Mimik – und das Nichts einer Maske; sind so die Griechen? Kann schon sein, so sollen sie schon immer gewesen sein, diese Erfinder des Theaters und der Demokratie, und man fragt sich nebenbei, ob das eine mit dem anderen verbandelt ist. Da passt einer wie Theodorakis nicht richtig rein mit seiner Traurigkeit, seiner Lebensklugheit, seinem Schmerz und seiner Hoffnung? Möglicherweise ist dieser Komponist gar nicht Grieche!?
Was meinte ich eingangs, dass Jorgo Chatzimarkakis mir „irgendwie seltsam“ vorkommt? Er kommt mir vor wie ein Gaukler und Narzisst. Oder wie ein Hochstapler, der er dann doch nicht ist? Er redet viel und viel durcheinander, wenngleich die Sätze Anfang und Ende haben und durchaus nicht blöde klingen. Nur weiß ich am Ende einer Äußerung nicht, was er gemeint hat. Das ist hohe Kunst, das ist die Kunst der Verführung. Und wer ihm widerspricht, dem tritt er aufbrausend entgegen. Diese Griechen! Was für südeuropäische Brauseköpfe! Machtvoll, irgendwie? Vielleicht gelangt man unter anderem so in Ämter und Positionen?
Ich bin weder Psychologe noch sonderlich an Psychogrammen über Politiker oder Menschen, die sich für Politiker halten, interessiert. Aber mich interessiert, was Menschen in der Öffentlichkeit sagen, wie sie es sagen, und ich neige dazu, Reputationen und Reputationsträgern zu misstrauen. Als typischer Deutscher?